Jun 072012
 

Basisdiskurs Religion XVIII >>>mehr

Nehmen wir an:

Es gibt zwei Fische, den roten Fisch und den blauen Fisch, beide vor langer Zeit gefangen in einem fernen Meer und nebeneinander gehalten, jeder in seinem Aquarium. Ohne den roten Fisch stirbt der blaue sofort und ohne den blauen Fisch verendet der rote qualvoll.

Der rote Fisch ist ein Tier wie viele andere, wenn auch mit einigen bemerkenswerten Besonderheiten. Der blaue Fisch ist einzigartig auf der Welt, fähig zu Leistungen und Kunststücken weit jenseits derer aller anderen Arten.

Zwei Aquarien

Die Besitzer haben gelernt, sich sorgfältig um die artgerechte Haltung des roten Fisches zu kümmern. Das Wasser in seinem Behälter wird in Salzgehalt und Temperatur an das ferne Meer angepasst, aus dem er herkommt und sein Futter entspricht der Nahrung, die er dort gefunden hat. Das Aquarium des blauen Fisches dagegen wird mit jeder Art von Wasser befüllt, das gerade zur Hand ist, es wird, je nach Lust und Laune, einmal in die pralle Sonne und dann wieder in die Winternacht hinausgestellt und seine Besitzer wetteifern darin, ihm in zunehmender Häufigkeit alle möglichen fremdartigen Substanzen als Futter vor­zusetzen.

Merkwürdig, dass sich jemand so achtsam um die eine Hälfte kümmert und dafür die andere Hälfte so selbstverständlich und gedankenlos einer immer höheren Belastung unterwirft. Merkwürdig, das wir alle das tun.

Der rote und der blaue Fisch: Das sind grobe, aber brauchbare Bilder für unseren Körper und unseren Geist. Und was wir mit diesen beiden Hälften von uns selbst anstellen, greift tief in unser Leben ein, oder eben auch, was wir nicht mit ihnen anstellen.

Der rote Fisch

Der rote Fisch, unser Körper:

Wir haben eine ziemlich gute Vorstellung davon, was unser Körper braucht. Vielleicht richten wir uns nicht immer danach, aber wir wissen, dass ihm riesige Haufen fettes Essen ohne Vitamine nicht guttun. Wenn ich am frühen Morgen im Park unterwegs bin, kommen mir ständig Jogger entgegen. Von den Plakatsäulen herunter und aus den Aus­lagen der Geschäfte heraus erinnern uns durchtrainierte und glatt­rasierte junge Menschen an die Notwendigkeit, einen idealen Körper vorweisen zu können.

Ja, wir kümmern uns um den roten Fisch. Ausgiebig und gründlich.

Aber warum ist das überhaupt notwendig? Wenn das Fernsehen eine Sendung über Afrika bringt und dabei z.B. eine Gruppe Massais zeigt, die ihre Rinder über die Steppe treiben, dann weisen die genau den perfekten Body auf, den wir bei uns selbst mit so viel Mühe heranzüchten und in Schuss halten müssen. Und mit hat jemand erzählt, wie im Himalaya ein alter Mann barfuß eine Straße herunter rannte – er wollte wohl im Ort den Bus erwischen – und dabei locker eine Gruppe von Langläufern überholte, die mit ihren Nikes an den Füßen ein Rennen bestritten.

Also warum ist die Welt so ungerecht? Warum geht bei solchen Leuten all das irgendwie von selbst, was wir uns mühsam antrainieren und andiäten müssen? (Gibt es das Wort „andiäten“? Wahrscheinlich nicht. Soltte es aber geben.) Wir wissen, dass das an unserem Lebensstil liegt. Wir bewegen uns nicht genug, wir haben die Tendenz, zu viel und falsch zu essen und so weiter. Aber warum besteht unser Körper so hartnäckig darauf, uns dafür zu bestrafen? Warum passt er sich nicht einfach an das Leben von so vielen von uns an, das sich zwischen Bürostuhl, Autositz und Fernsehcouch abzuspielt? Warum wird er nicht schlank und dynamisch von so verlockenden Sachen wie Schokoladeneis und Kartoffelchips?

Unser Erbe

Wir kennen die Antwort: Weil er auf seine genetischen Grundlagen besteht, auf sein Erbgut, das wir alle seit unserer Zeugung, neun Monate vor der Geburt, in uns tragen. Dieses Erbgut bekam seinen entscheidenden Schliff vor etwa 50 000 Jahren, als sich der der heutige Mensch, der Homo Sapiens Sapiens, über die ganze Welt ausbreitete. Damals wurden die wesentlichen Elemente in unserem genetischen Bauplan festgelegt, die uns immer noch bestimmen. Und dieser Bauplan hielt sich natürlich an die damaligen Gegebenheiten und die Grundlagen unseres Erbguts sollten dazu dienen, mit diesen Gegebenheiten optimal zurecht zu kommen.

Es wurde in diesem Bauplan kein Wert darauf gelegt, unser Herz-Kreislauf-System auch bei mangelnder Bewegung in Schuss zu halten, einfach deshalb, weil sich damals alle Menschen ausreichend bewegen mussten, um von Platz zu Platz zu ziehen und dabei genügend Nahrung einzusammeln. Noch immer brauchen wir eine Er­nährung, die genug Vitamin C enthält, weil dies unser Körper, im Gegensatz zu anderen Vitaminen, nicht selbst produziert. Der Grund liegt darin, dass damals immer genug zur davon Verfügung stand. Und noch immer legt unser Körper einen Überschuss bei der Nahrungsaufnahme in Fettreserven an, weil er für die nächsten Hungerzeiten vorsorgen will. Dass dies unserer Gesundheit einmal schaden könnte, wenn wir dauernd zu viele Kalorien zu uns nehmen, spielte damals keine Rolle, einfach deswegen, weil das zu dieser Zeit nie der Fall war.

All das gehört mittlerweile zum selbstverständlichen Wissen der meisten Menschen hierzulande. Und wenn sich auch nicht alle von uns gesund ernähren und irgend einen Ausdauersport betreiben, so ist uns doch bewusst, dass wir es tun sollten, eben weil unsere heutige Lebensweise mit Bürostuhl und Kartoffelchips sich weit entfernt hat von den Bedingungen, für die unsere genetischen Grundlagen entwickelt wurden und, wie wir wissen, drohen uns ernste gesundheitliche Schäden, wenn wir das ignorieren. Wenn wir also den roten Fisch – unseren Körper – vielleicht nicht immer optimal versorgen, so wissen wir zumindest, was wir tun müssten und dass wir es tun sollten.

Der blaue Fisch

Und der blaue Fisch, unser Geist?

Darum machen wir uns keine derartigen Gedanken. Ab und zu gehen die Leute in den Urlaub, um sich zu entspannen oder besuchen Meditationskurse oder üben sich vielleicht auch in irgendwelchen astralen Vibrationen. Vieles davon, ist gut und lobenswert. Der große Unterschied zu der Art, mit der wir uns um unseren Körper kümmern, liegt aber darin, dass wir all diese Aktivitäten ins Blaue hinein unternehmen, ohne eine Ahnung davon, ob wir damit wirklich die grundlegenden, in unseren Genen verankerten Bedürfnisse unseres Geistes befriedigen.

Das Merkwürdige an dieser Situation ist es aber, dass uns dieses Thema überhaupt nicht beschäftigt, etwa die Frage, was diese Bedürfnisse überhaupt sind. Vielmehr stehen wir ihm mit einer Interesselosigkeit gegenüber, die wir im Bereich unseres Körpers als unverantwortlich empfinden würden. Wenn es um die andere Hälfte unseres Lebens, die des Geistes geht, scheinen wir der Meinung zu sein, dass unsere spontanen Ideen oder Nichtideen auf jeden Fall ausreichen, um hier das Richtige zu tun.

Tiefe Wurzeln

Der altjüdische Monotheismus hat etwas Archaisches an sich. Das ist seine Stärke, aber auch seine Schwäche. Schwach ist er aufgrund seiner geringen theoretischen Ausprägung. Er wurde über Jahrhunderte hinweg von einem ganzen Volk entwickelt und nicht von einem Einzelnen, der ihn in logischen Schritten aus allgemein einsichtigen Grundlagen entwickelte. Stark ist er, weil er ein altes, ursprüngliches Lebensgefühl des Menschen aufgreift, das mit dem Zusammenbruch der großen Pyramiden von der Erde verschwuunden ist, weil er die Bedürfnisse des blauen Fisches nicht vergessen hat und sie in dieser neuen Welt auf neue und tiefere Art befriedigt. Davon mehr in den nächsten Posts.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Mono.Theismus„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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  One Response to “Meditation: Der rote und der blaue Fisch”

  1. Sehr schön, wie der vorherige Post mit der Selbstdemontage der katholischen Kirche auf einen Teil des blauen Fisches passt.

    Trotzdem denke ich, dass der altjüdische Monotheismus ursprünglich von einzelnen Propheten in aller Klarheit initiiert wurde und sich erst über die Jahrhunderte der Verbreitung zum Heutigen hin „entzwickelt“ hat. Seine vermeintliche Schwäche dürfte meiner Meinung nach vielmehr uns betreffen, die doch den roten Faden verloren haben, ja durch den Lauf der Dinge sogar verlieren mussten.

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