Jun 182012
 

Basisdiskurs Religion Vorwort

Ich habe an diesem Post sehr lange gearbeitet (noch einmal länger wegen meinem im Moment sehr stressigen Broterwerb und einer Grippe). Ich ordne ihn ein unter dem Basiskurs Religion, aber nicht in die laufenden Beiträge, sondern als nachgeholtes Vorwort, als grundlegende Erklärung zu dem, was ich mit diesem Kurs bezwecke und vor allem, warum er notwendig ist. Diesem Beitrag A für den Anfang wird ein Beitrag B folgen, in dem ich erzähle, welche Rolle Basisdiskurs und Blog in meinem Leben spielt.

Gott, Analyse und Synthese

Lassen Sie mich diesen Post beginnen mit dem Geständnis, dass ich das nicht verstehe, was allgemein unter „Glauben“ läuft. Ich verstehe es einfach nicht.

Nehmen wir z.B. die Überschrift des Hauptartikels aus der aktuellen Ausgabe eines renommierten christlichen Blattes, die soeben neben mir liegt: „Die Höflichkeit Gottes“, Untertitel: „In der Unbegreiflichkeit Gottes zeigt sich der Respekt vor dem Menschen“. Dies ist offensichtlicher und handgreiflicher Unsinn. In einem Zusammenhang von wenigen Worten wird gleichzeitig behauptet, dass Gott die Eigenschaft des Respekts, gar der Höflichkeit besitzt, aber auch, dass er unbegreiflich ist, d.h. dass seine Eigenschaften menschlichem Denken unzugänglich sind. Dieser Widerspruch wird natürlich auch nicht aufgelöst, derartiges Geschwafel ist die Grundsubstanz zeitgenössischer Glaubensaussagen, ob authoritär verordnet oder frei schwebend formuliert.

Noch einmal: Ich verstehe es nicht. Ich kann mich nicht in diese Leute hineinversetzen, ich kann keinen hinreichenden Grund erkennen, warum sie so reden und wie sie das vor sich selbst verantworten. Ich verstehe nicht, wie woher diese absolute Respektlosigkeit sowohl vor einer großen Tradition als vor sich selbst als einem denkenden Wesen kommt. Ich weiß nicht, welchen Gewinn sie daraus ziehen oder wie sie das menschliche Organ für Wahrhaftigkeit in ihrem Inneren zum Schweigen bringen, das, wie ich naiverweise glaube, doch in jedem Menschen vorhanden ist.

Ich verstehe es nicht.

Der Brautstrauß

Natürlich versuche ich immer wieder, dieser Sache auf die Spur zu kommen, irgend ein Bild, ein Modell zu finden, das mich diesem Phänomen näher bringt. Ich versuche es etwa am Beispiel eines Brautstraußes. Weit hergeholt, aber er ist in einer entscheidenden Hinsicht ein Abbild des zeitgenössischen Gottesbildes: Er kann Beliebiges enthalten, solange es einen hübschen Eindruck macht: Rosen, Nelken, Margariten, egal. Was ihn zu einem Brautstrauß macht, ist nicht sein Inhalt, sondern seine Funktion (in bestimmten Ritualen, z.B. der Entführung der Braut).

Ebenso können die zentralen Begriffe des Glaubens, wie „Gott“, „Erlösung“ usw. je nach Belieben mit verschiedenen Inhalten befüllt oder auch ganz leer gelassen werden. Entscheidend ist ihre Funktion, innerhalb der kirchlichen Zeremonien, vor allem aber auch außerhalb. Durch den Gebrauch solcher Wörter in bestimmten Zusammenhängen weist man sich als Christ aus. Was man sich darunter genau oder ungenau vorstellt, ist dann Sache jedes Einzelnen. Wichtig ist nur, dass die jeweilige private Sinngebung den allgemeinen, akzeptierten Gebrauch dieser Begriffe nicht stört. Und das erreicht man natürlich umso besser, je mehr man diese Sinngebung im Vagen und Unverbindlichen lässt.

Gott ist unbegreiflich (was sehr praktisch ist)

Dazu gibt es auch professionelle Absicherung. Die zeitgenössische Theologie kennt nichts Abscheulicheres als einen Glauben „dass“, also z.B. dass Gott allmächtig ist. Auf was sich der Mensch beschränken sollte, ist der Glaube „an“, also ein emotionaler Bezug zu einem Gott, unter dem man sich am Besten gar nichts vorstellen soll, denn sonst wäre Gott ja verfügbar, menschlicher Willkür unterworfen usw., vor allem aber würden sonst unangenehme Kinderfragen auf die Theologen zukommen, auf die sie Antworten weder geben können noch wollen.

Für mich erledigt sich diese Konstruktion von selbst, weil sie zutiefst unehrlich ist: Es wird von nichts soviel und so hemmungslos geschwätzt, wie vom „unbegreiflichen“ Gott. Du darfst alles von ihm erzählen, von seiner Güte, Höflichkeit und Gerechtigkeit, es muss nur klar sein, dass du nichts wirklich ernst meinst, dass du der Sache nicht zu tief auf den Grund gehen, dass du während der Produktion von Metern von Büchern und Bergen von Artikeln zum Thema „Gott“ ständig beteuerst, dass man über ihn nichts sagen kann. Und dass dementsprechend unhöfliche Rückfragen zu dem unaufhörlich produzierten Gewäsch zu unterbleiben haben.

Analyse

Was mit dieser Grundeinstellung verboten wird, das ist die einfache, kindliche Frage: „Was ist das? Wie geht es?“ und, später, die erwachsenere Frage: „Was mache ich da? Was rede ich eigentlich daher?“ Diese Fragehaltung gehört zum Wertvollsten, was den Menschen ausmacht und ist die Seele dessen was man, im Kontext der Wissenschaft, Analyse nennt. Analyse heißt Auflösung, also den ersten Schritt einer Untersuchung, bei dem man den Gegenstand auf seine Einzelheiten hin ansieht.

Ganz offensichtlich ist so etwas wie Analyse nicht anwendbar in einem Sprachspiel wie der heutigen Rede von Gott. Es hat keinen Sinn, etwas über den Brautstrauß zu lernen, indem man die Blumen untersucht, aus denen er gebunden ist, eben weil sein Inhalt beliebig ist.

Für das Christentum hat die wissenschaftliche Analyse hat aber trotzdem eine große und im Endeffekt vielleicht tödliche Rolle gespielt. Ich spreche von der kritischen Exegese, also der Wissenschaft, die die Bibel auf ihre unterschiedlichen Quellen und Überlieferungsschichten untersucht. Nach wie vor ist die „Heilige Schrift“, das „Wort Gottes“ die unverzichtbare Grundlage für den christlichen Glauben. Die Nachricht, dass sich der Inhalt zu verflüchtigen scheint, dass die kritische Exegese sie als zusammengezottelten, in vielen Schritten nachträglich überarbeiteten Haufen unterschiedlicher Texte analysiert hat, war zwar für den allgemeinen Glauben zunähst eher folgenlos. Trotzdem ist ein unbehagliches Wissen um diesen Tatbestand in die christliche Öffentlichkeit eingesickert und ist vermutlich einer der entscheidenden Gründe, warum sich dieser Glaube zunehmend in die Unverbindlichkeit flüchtet.

Synthese

Das Gegenstück zur Analyse ist die Synthese, das (Wieder-)Zusammenfügen der Teile. Auch dies ist ein Teil der kindlichen Neugier: „Wie geht das?“ Das Zerlegen von etwas ist ja nur der erste Abschnitt, der zweite besteht darin, es wieder zusammenzubauen und so seine Funktionalität zu erschließen. In dieser einfachen Beschreibung sind zwei Elemente enthalten: „Zusammenbauen“ und „Funktionalität“. Beide sind im Bereich der Religion, zumindest heute, keineswegs selbstverständlich.

„Zusammenbauen“, das funktioniert nur dann wirklich, wenn die Teile in irgend einer Weise eindeutig zusammenpassen. Einen Motor kann man zusammenbauen, einen Sandhaufen nicht. Und „Funktionalität“ bedeutet, dass das Ganze, das Zusammengebaute, irgend etwas „macht“, etwas auslöst, stützt und weiter trägt. An diesem Punkt, bei der Synthese, herrscht in der Theologie, in der Reflexion des Glaubens, ein bedrohliches und für den Glauben letztlich tödliches Vakuum.

Warum Synthese heute nicht mehr funktioniert

Das hat, wie ich denke, mehrere Gründe. Der erste, vielleicht am wenigstens wichtige, ist der, dass die Analysen der kritischen Exegese nicht eigentlich theologischer Natur sind, sondern aus der Geschichts- und Sprachwissenschaft stammen. Nun können diese wissenschaftlichen Disziplinen aber nichts beitragen zur Synthese, zum Zusammenbau der Ergebnisse. Denn dazu müssten sie wissen, was eine Religion will. Sie müssten einen Instinkt dafür entwickeln, was speziell das Christentum will und soll. Und das kann weder die Sprachwissenschaft noch die Historie leisten.

Beim zweiten Grund handelt es sich um ein sich selbst verstärkendes negatives Zusammenspiel mehrerer Elemente, um einen Teufelskreis. Eigentlich müsste es die Aufgabe der Theologie sein, von den einzelnen Erkenntnissen aus der kritischen Exegese vorzustoßen zu einer Gesamterkenntnis des Glaubens, zu einem tieferen Verständnis all dieser Begriffe wie Gott, Erlösung usw. Sie müsste sozusagen ein Gebäude errichten, das auf dem Fundament der kritischen Exegese aufgebaut ist und das in seinen einzelnen Stockwerken nach und nach Räume schafft für die wichtigsten Glaubenslehren. Das geschieht nicht, und dieses Versagen speist sich aus mehreren Quellen.

Erstens ist das Ziel einigermaßen verschwommen, d.h. eben diese wichtigsten Glaubenslehren. Wenn so vage und beliebig sind, wie sie sich im Moment darstellen, eben als hübscher Brautstrauß ohne eigentlichen Inhalt, so werden die notwendigen Begründungen ebenso willkürlich und ad hoc sein wie das, was sie begründen sollen.

Zweitens verdirbt eine solche Brautstrauß-Theologie den unbedingt notwendigen Instinkt für das, was Religion meint und will. Man kann dieses Ziel einer Religion transzendent, spirituell oder existenziell nennen, all diese Wörter werden inflationär gebraucht und haben dadurch an Wert verloren. Trotzdem meinen sie etwas Bestimmtes und im Inneren des Menschen wohnt ein Instinkt für dieses Etwas. Ein Instinkt, der nicht jeden ans gleiche Ziel führt, den einen zum Buddhismus, den anderen zum Christentum, den dritten vielleicht in eine freischwebende Mystik (obwohl ich hier äußerst mißtrauisch bin).

Trotzdem, es ist der gleiche Instinkt, wie ein Gefühl in den Füßen, ob mein Weg sumpfig zu werden beginnt oder ob ich den schmalen Steig nach oben in die Felsen gefunden habe. Wie jeder andere Instinkt kann er aber verdorben werden, wenn man sich allzu lange in Esoterik oder eben in einer Beliebigkeit der Glaubensinhalte herum plantscht. Irgend wann einmal hat man dann seine Orientierung verloren und trottet für den Rest seines Lebens dümmlich lächelnd hinter dem nächsten Lautsprecherwagen und seinen jeweiligen sprituellen Gassenhauern her.

Der gerade Weg und warum er versperrt ist

Angesichts dieser Lage wäre ein anderes Verfahren naheliegend. Man sollte darauf verzichten, die zeitgenössischen Glaubensvorstellungen als Ziel anzusehen. Also: Weg mit der Vorstellung „Dies und dies ist gemeint mit ‚Gott‘ oder ‚Erlösung‘, wie kann ich das nun aus den Ergebnissen der kritischen Exegese begründen?“ Stattdessen: „Ich weiß nicht, wohin wir gelangen werden. Beginnen wir einfach mit der Synthese all dieser einzelnen Elemente in der Bibel. Vertrauen wir darauf, dass es eine solche Synthese gibt, dass irgendwo in diesem Spektrum unterschiedlicher Überlieferungen ein zentraler Gedanke darauf wartet, entdeckt zu werden. Folgen wir unserer Vernunft und unserem Instinkt und finden wir diesen Gedanken!“

Einen solcher Versuch werden wir aber, vorsichtig gesagt, nur sehr selten finden (einen davon finden Sie in meinem Buch, ein zweiter ist mir nicht bekannt). Der Grund dafür liegt in einer verheimlichten, aber trotzdem deutlich sichtbaren Überzeugung. Nämlich der, dass es diesen zentralen Gedanken nicht gibt, dass die Schrift, dass das Alte und das Neue Testament nicht aus sich selbst heraus sprechen kann, dass in all den verschiedenen Überlieferungen, die darin enthalten sind, keine klare Botschaft und kein Schlüssel zu ihrem Verständnis zu finden ist.

Sichtbar wird diese Überzeugung z.B. in dem Standpunkt unseres augenblicklichen Papstes, nach dem die christliche Lehre nicht für sich allein existieren kann, sondern auf das Fundament der griechischen Philosophie angewiesen ist. Sichtbar wird sie aber auch in den sogenannten Bindestrich-Theologien unserer Zeit, in der Befreiungstheologie, der feministischen bzw. ökologischen Theologie und was es sonst noch für Spielarten gibt. Hier wird zunächst ein Brautstrauß aus wünschenswerten Eigenschaften Gottes oder Jesu Christi oder was auch immer gebunden, der den durchaus ehrenwerten politischen oder ideologischen Zielen der jeweiligen Theologen entspricht. Dann werden dazu passende Stellen der Bibel gesucht und zu einer mehr oder weniger gelungenen Begründung dieser Sicht zusammengezimmert. Und die jeweiligen Kritiker stellen nicht das Verfahren selbst in Zweifel, legen keinen Protest ein, dass das nicht die Art ist, wie man Wahrheit sucht und findet, sondern kramen ihrerseits gegenläufige Verse der Schrift hervor und nageln sie zu einer Gegenposition zusammen. Und wenn sie nicht gestorben sind …

Aber sie sterben. Immer weniger Leute interessieren sich für ihr Tun. Und leider auch für die Grundlage ihres Tuns, die christliche Idee, einen der großen Gedanken der Menschheit.

 Es geht anders

Es geht anders. Man kann all die Krücken wegwerfen, mit denen der christliche Glaube aufrecht erhalten wird und die aber doch nur dazu dienen, ihn zum Krüppel verkommen zu lassen. Man kann an die Bibel herantreten mit dem Anspruch: „Sprich zu mir. Zeig mir deine Wahrheit. Eine Wahrheit, die schlüssig ist, eine Wahrheit, die bestehen kann neben dem Wissen der Welt, eine Wahrheit, der ich im Leben folgen kann. Oder eben nicht. Dann stelle ich dich in den Bücherschrank neben die Predigten Buddhas, die Analekten des Konfuzius, neben Lao Tse und Dschuang Dsi.“

Natürlich muss man bezahlen für diese Wahrheit. Mit Jahrzehnten des Studiums, abseits der ausgetretenen Pfade. Mit einem brennenden Interesse an Dingen, für die sich sonst niemand interessiert. Mit Jahren der Verzweiflung, wenn sich der Sinn eines Textes hartnäckig verschließt. Bis man irgend eines Tages plötzlich sieht, dass die Lösung immer schon da gestanden ist, direkt vor den eigenen Augen.

Und man bezahlt mit dem Risiko, dass man eines Tages sagen muss: „War wohl nichts. Viele schöne Gedanken, aber nicht groß genug, nicht zusammenhängend genug, nicht durchschlagend genug.

Schade. Sehr schade. Hier ist dein Platz im Bücherschrank. Ein Ehrenplatz, aber im Bücherschrank. Leb wohl. Ich muss weiter.“

Basisdiskurs Religion

Es ist für mich gut ausgegangen. Glaube ich zumindest. Ich denke, dass mein Verständnis von Religion in Allgemeinen und von Christentum im Besonderen inzwischen hinreichend und hinreichend ausbaufähig ist, um ein Leben lang zu tragen. Sicher bin ich nicht, darf ich nicht sein, wenn ich offen bleiben will für das, was kommt und was mit mir geschieht.

In diesem Basisdiskurs teile ich das mit, was ich erarbeitet habe. Mehr im nächsten Basis-Post über dieses Teilen.

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