Feb 182012
 

Immer wieder flackert in der öffentlichen Diskussion der Streit darüber auf, ob die Grundwerte unserer Gesellschaft ohne das Christentum überlebensfähig sind, so etwa nach dem Motto „Wer an nichts glaubt, wird irgend wann einmal eine Bank überfallen, weil dann sowieso alles egal ist.“ Dazu habe ich ein hübsches Zitat eines Augenzeugen gefunden, der bei einer Rede Napoleons dabei war. Gehalten wurde sie nach der Eroberung Berlins durch die französischen Truppen, Addressaten waren die Geistlichen dieser Stadt:

Der Kaiser begann mit der Ermahnung, wir sollten mit unserem Gottesdienst fortfahren und dabei darauf achten, mehr über die Moral als über die Dogmen zu predigen, und vor allem sollten wir dazu auffordern, der Obrigkeit zu gehorchen, der man untertan sei, und denjenigen hoch zu achten, den man zu diesem Zeitpunkt als Souverän zu betrachten habe.“

Brauchbare Religonen

Ein hübsches Beispiel für das Christentum als Grundwertelieferant! Die denkerische Basis (die Dogmen) ist ziemlich egal, wichtig ist ihr staatserhaltender Einfluss auf das liebe Volk, und zwar egal, wer gerade in diesem Staat die Macht innehat. Napoleon hat übrigens bei seiner Invasion von Ägypten (eine der merkwürdigsten und unbekanntesten Episoden der Neuzeit) ähnliches mit den dortigen muslimischen Imamen versucht. Er gab sich als zwar nicht hundertprozentiger Muslim, aber doch großer Bewunderer Mohammeds aus und ließ verbreiten, dass seine Eroberung Ägyptens schon im Koran vorausgesagt worden und deshalb Allahs Wille wäre. Und natürlich hatten sich alle braven Gläubigen dem zu fügen und fleißig ihre Steuern abzuliefern. Allerdings war der Erfolg dieser merkwürdigen Propaganda doch sehr begrenzt.

Grundwerte

Wie sieht das aber heute aus? Wie stark ist der Einfluss z.B. des christlichen Glaubens auf unsere Kultur? Es gibt da ja unterschiedliche Positionen. Die einen behaupten nach wie vor, dass der Staat angewiesen ist auf andere Organisationen oder Weltanschauungen, die die Grundwerte liefern, ohne die Chaos und Anarchie ausbricht. Ihr Argument lautet in etwa dass jemand ohne den Glauben an Gott schließlich keinen echten Grund hat, um nicht zum Bankräuber zu werden. Und die anderen hängen der Vorstellung an, dass das Christentum einen verblödenden Einfluss darstellt, der von den Machthabern gefördert wurde, um das Volk bei der Stange zu halten (dazu wurde neulich das hübsche Stichword von den „Religioten“ geprägt).

Zu dieser Frage gibt es allerdings zwei gute Beispiele direkt vor unserer Nase: Tschechien und Polen. Beide Kulturen sind weithin vergleichbar, sind ehemalige Ostblock-Staaten in Mitteleuropa, haben ähnliche wirtschaftliche Probleme und nationalistische Anfälle usw. Tschechien ist vermutlich die am stärksten säkularisierte Kultur zumindest in Europa. Nur gut 30 Prozent bezeichnen sich als religiös und mit dem Kirchgang sieht es noch wesentlich schlechter aus. Polen ist immer noch ein sehr katholisches Land, dessen Kultur und Identität stark mit seinem Glauben verbunden ist. Im Vergleich müsste sich hier also der Einfluss des Glaubens auf Moral und Intellekt am stärksten zeigen.

Tiefer hängen

Tatsächlich illustriert der Vergleich aber sehr schön die relative Bedeutungslosigkeit der Religion – so oder so. Weder ist in Polen die Rate der Banküberfälle dramatisch niedriger als in Tschechien, noch ist Tschechien, befreit vom verdummenden Joch des Glaubens, ein strahlender Hort der Aufklärung und der Wissenschaften. Leider (leider für beide Seiten den Polemik, Christen und Atheisten) zeigt sich in allen relevanten Bereichen, dass das Christentum die Leute weder besser noch dümmer und der Atheismus sie weder schlechter noch schlauer macht. Ich würde also empfehlen, diese Diskussion um einige Zentimeter tiefer zu hängen.

Der nächste Post soll das Thema des Blogs vom  atheistischen Standpunkt aus behandeln.  Ich habe einen solchen  Beitrag schon länger geplant, es ist aber jedes Mal schief gegangen. Vielleicht klappt es diesmal. Wenn Sie darüber benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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  5 Responses to “Napoleon und die Grundwerte”

  1. Ja, besonders beim ‚Tiefer hängen‘ stimme ich zu. Zentimeter ist eventuell eine zu kleine Einheit, vielleicht – wenn auch ‚von Auswärts‘ – ist eher Zoll angebracht. Oder eben etwas ähnliches.
    Die Beispiele mit Polen und Tschechien gefallen mir und regen mich zu einem vielleicht seltsamen Gedanken an: es gehört beides in ausgewogenem Verhältnis dazu. Gibt es keine gegensätzlichen Meinungen (an denen man sich auch mal abarbeiten kann), dann fällt auch die Notwendigkeit seine eigenen Standpunkte immer wieder neu zu überdenken weg. Wie gesagt, sehr stark vereinfacht. 
    Mit dem Nachsatz habe ich große Probleme. Einfach: ich verstehe es nicht.
    „Der nächste Post trägt in etwa den Titel “Atheismus”. Vielleicht. Ich habe mit diesem Beitrag nicht viel Glück.“ Speziell der letzte Satz – der Zusammenhang erschließt sich mir nicht… … ich kann nicht folgen :( 
    LG

    • Liebe(r?) Wälti,
      erst mal danke für den freundlichen Kommentar. Der Nachsatz erklärt sich so: Ich kündige am Ende eines Posts immer den nächsten an. Jetzt habe ich schon drei Mal einen Beitrag namens „Atheismus“ angekündigt, aber aus verschiedenen Gründen nicht bringen können. Deshalb diese leicht selbstironische Formulierung, die aber offensichtlich ziemlich verwirrend ist. Sorry! Ich habe ihn korrigiert

  2. @eric djebe
    nun, für regelmässige leser ist das dann sofort klar. ich habe erst vor einer woche hierher gefunden. 
    das ‚waelti‘ hat sich ein bisschen für walter eingeschlichen. ich bin also mehrfacher vater, nicht mutter. 😉
     
    LG / schönen sonntag 

  3. „Tatsächlich illustriert der Vergleich aber sehr schön die relative Bedeutungslosigkeit der Religion – so oder so. Weder ist in Polen die Rate der Banküberfälle dramatisch niedriger als in Tschechien, noch ist Tschechien, befreit vom verdummenden Joch des Glaubens, ein strahlender Hort der Aufklärung und der Wissenschaften. Leider (leider für beide Seiten den Polemik, Christen und Atheisten) zeigt sich in allen relevanten Bereichen, dass das Christentum die Leute weder besser noch dümmer und der Atheismus sie weder schlechter noch schlauer macht. Ich würde also empfehlen, diese Diskussion um einige Zentimeter tiefer zu hängen. “
     
    Vielleicht kommt die Verwirrung zum Teil daher, daß die falschen Begriffe (Christen, Atheisten) und die falschen Beispiele einander gegenübergestellt werden. Die Beispiele: Man könnte ja auch ein deutsches Bundesland und einen Staat im Bible Belt vergleichen. Oder, damit das Umgekehrte herauskommt, die DDR und irgendein westeuropäisches Land. Die Begriffe: Wenn man statt Christentum „Pfingstkirchen“ nehmen würde, sähe es schon anders aus, ebenso wenn man statt Atheismus „Stalinismus“ nähme. Diese Religion und dieser Atheismus sind jedenfalls nicht „bedeutungslos“. Man sollte vielleicht nicht die Diskussion „tiefer hängen“, sondern differenzierter führen. Die führenden Vertreter der Aufklärung waren, aus der Perspektive der heutigen bekennenden Atheisten, fast alle fromme, gottesfürchtige Männer. Wer war aufgeklärter, diese oder jene? Die Fronten scheinen mir jedenfalls, wenn man „Aufklärung“ als Fixpunkt läßt, etwas anders zu verlaufen als da, wo sie die Diskussion, die heute für oder gegen Religion geführt wird, sieht.

    • Ich bitte erst einmal um Verzeihung. Ihr Kommentar ist im Spamfilter hängen geblieben, ich war auf Reisen und habe es nicht rechtzeitig gemerkt, deshalb die späte Freischaltung.
      Ihre Argumente finde ich absolut korrekt, sie reichen aber über das hinaus, was dieser Post zeigen will. Er sollte ja einfach nur die geschilderten absoluten Positionen ad absurdum führen: (a) Christentum ist per se verdummend und (b) Atheismus ist seiner Natur nach moralzerstörend. Beide Positionen werden ja tatsächlich so vertreten und um hier die Luft herauszunehmen genügt dieses Beispiel tatsächlich (wie ich meine).
      Und ich stimme Ihnen selbstverständlich zu, dass die Diskussion hier nicht stehen bleiben sollte. Tatsächlich ist es ja ein Ziel dieses Blogs, sie auf ein höheres Niveau zu heben. 

      Und, noch einmal Entschuldigung für die späte Freischaltung. Ich muss da in Zukunft genauer kontrollieren. Offensichtlich werden gerade längere Beiträge gerne weggefiltert.

      Nachtrag: Tatsächlich halte ich z.B. den Atheismus Stalins nicht für eine tragende Eigenschaft seines brutalen Regimes. Und ich denke, dass viele wesentliche Merkmale des US-Fudamentalismus (Misstrauen gegenüber dem Staat, Missachtung der Ökosphäre usw.) auch ohne ihn lebensfähig sind, wie die jetzigen republikanischen Vorwahlen zeigen.
      Ihren Hinweis auf die frühen Aufklärer finde ich interessant und würde gerne mehr darüber erfahren, in welche Richtung Ihre Gedanken hier gehen!

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