Dez 212012
 

Wieder hat mein neuer Post sehr lange auf sich warten lassen. Liegt immer noch daran, dass ich mich mit meinem neuen Buch herumschlage. Gerade habe ich das Konzept wieder abgeändert. Es wäre vielleicht ganz, oder vielleicht auch weniger lustig, wenn ich jeden Tag meine neueste Version hochladen würde. Noch ein bisschen blabla von „work in progress“ dazu, und ich wäre vielleicht endlich reif fürs Feulliton.

Eine meiner ständigen Nachjustierungen bezieht sich auf die Zielgruppe: Für wen schreibe ich es? In meinem letzten Buch habe ich ja eigentlich schon fast alles gesagt, was dazu zu sagen wäre, aber eben nur für wenige Leute. Und aus diesem „Für Wen“ ergibt sich dann eben auch das „Was“. Und daraus wieder ein „Warum“.

Für wen: Für das breite Publikum.

Was: Deshalb keine spirituellen Tiefbohrungen. Oder auch nur Mittelbohrungen. Es geht nur um die Information, was denn den christlichen Glauben ausmacht. Verzinkt genug.

Warum: Wir sind, so scheint mir inzwischen, mit der Mehrzahl der Bevölkerung eindeutig im Postchristentum angekommen. Die Vorstellung der Menschen über den Inhalt dieser Lehre sind inzwischen so vage, dass sie noch nicht einmal als platt zu bezeichnen sind. Damit spiegeln sie, meiner Meinung nach, nur die Verdunstung von Inhalt innerhalb des Christentums wieder, natürlich stark gefiltert und vergröbert. Dazu einige Beispiele aus den letzten Tagen:

Judas

An den Kammerspielen in München wird ein Stück gegeben, das aus einem Monolog des Judas besteht. Oder aus dem, was sich so eine Niederländerin (Lot Vekemans) als Autorin und ein in der DDR geborener Schauspieler (Stevem Scharf) unter der Selbstreflexion des Jüngers vorstellen, der laut den Evangelien Jesus an die Hohepriester verraten hat.

Alle paar Jahre fällt irgend jemandem die total neue und originelle Idee ein, diese Erzählungen umzudrehen und aus Judas einen verkannten Helden zu machen. Die aufwändigste Version stammt von Walter Jens, der in seinem letzten Roman „Der Fall Judas“ sogar seine Seligsprechung fiktionalisierte: „Ohne Judas kein Kreuz, ohne das Kreuz keine Erfüllung des Heilsplans. Keine Kirche ohne diesen Mann; keine Überlieferung ohne den Überlieferer.“

Das Stück wärmt die verbreitete, aber völlig unbelegte Hypothese auf, dass Judas Jesus verraten hat, um ihn zur politischen Aktion zu zwingen. Jesus sollte angesichts der akuten Gefahr endlich zur Revolution gegen die Römer aufrufen und dann als neuer König der Juden sein Gottesreich als real existierenden Staat verwirklichen.

Das Holzmännchen

Dazu Scharf: Judas‘ Kampf „war ein klassischer Befreiungskampf. Dieser Judas wollte kein Jesuskind im Himmel anbeten und auch kein Holzmännchen am Kreuz. Der wollte, dass sein König auf der Erde bleibt.“

Irgendwie scheint bei Scharf tatsächlich noch ein bisschen Revoluzzer-Romantik aus seinen DDR-Genen hängengeblieben zu sein. Wie Jesus einen erfolgreichen Aufstand gegen die römischen Militärmaschine hätte organisieren können, insbesondere, da er sich innerhalb des jüdischen Volkes sämtliche möglichen Bündnispartner zu Feinden gemacht hatte, bleibt sein Geheimnis (vielleicht zu viel „Panzerkreuzer Potemkin“ gesehen?).

Interessanter ist sein nassforsches Gerede über das Jesuskind im Himmel (was eine nur sehr ungefähre Vorstellung von der zweiten Person der Dreifaltigkeit zeigt) und über das Holzmännchen, das ich, wiederum seiner Vorstellung nach, als Christ anbete. Interessant daran ist die Beiläufigkeit, mit der er diesen Hammer bringt. Natürlich will er ein bisschen provozieren, aber es ist ihm doch anzumerken, dass er das für eine mehr oder weniger realistische und allgemein akzeptierte Anschauung hält, wenn auch etwas scharf formuliert.

Vor allem aber müsste er als Interpret von Judas eigentlich daran interessiert sein, eine gewisse Fallhöhe, eine gewisse Spannung herzustellen zwischen den Polen Judas und Jesus, zwischen den Polen einer materialistischen und einer irgendwie transzendenten Auffassung des Lebens. Nur kann er für diesen zweiten Pol nicht das geringste Einfühlungsvermögen oder Wertschätzung mobilisieren, ihm ist das alles nur Holzmännchen. Und damit vergibt er natürlich für seine Interpretation jegliche Energie, die er aus diesem Gefälle gewinnen können. Vielleicht muss er sich deshalb in seiner Vorstellung nackt auf eine Leiter stellen, um für diesen Judas auch nur einen kleinen Kitzel erzeugen zu können.

Interessant ist auch, dass die Rezensentin in dem bekannten Qualitätsblatt der Süddeutschen Zeitung die gleiche Haltung an den Tag legt. O-Ton: „Möglicherweise kollidiert hier die Weltsicht eines politischen Realos mit einem spirituell bewegtem Fundi.“ Jesus von Nazareth als Leuchtgans: Warum nicht. Aber dann lässt sich schlecht erklären, warum irgend jemand Interesse an seinem Gegenpol Judas aufbringen sollte.

Schwein am Kreuz

Ebenfalls im o.a. Qualitätsblatt war jetzt eine Besprechung einer Gemäldeausstellung zu lesen, beginnend mit dem Ausruf: „Welch eine Lust, sich durch die narrative Bilderwelt von Siegfried Anzinger zu hangeln.“ Diese narrative Bilderwelt bedient sich vorwiegend aus dem Fundus christlicher Vorlagen, natürlich „ironisch“: Abendmahl, Kreuzigung, Auferstehung, oder Himmelfahrt, aber immer „so herrlich skurril, dass man einfach schmunzeln muss.“

Wie der Artikel erzählt, wird wird dieser leichten Ironie manchmal mit rückwärts gewandter Verbohrheit begegnet. Ein Beispiel istin Köln, wo der Maler in harter Arbeit für die Kunst-Station in einer Kirche einen 16-teiligen Zyklus hergestellt hat. Die harte Arbeit bestand natürlich vor allem im konzeptionellen Bereich. Denn erst nach langer Reflexion kann jemand darauf kommen, in einem dieser 16 Bilder ein Kruzifix darzustellen, an das statt eines Menschen ein Schwein genagelt ist (hihi, prust, schenkelklopf), ein Einfall, für den man den Nobelpreis für Plattheit ins Leben rufen müsste. Und natürlich kann nur ein verbohrter religiöser Fundi auf die Idee kommen, dass das Ganze dann doch nicht so recht in eine Kirche passt, worauf Siegfried Anzinger mit seinem Zyklus wieder abziehen musste.

Man kann durchaus den Scharfblick der Rezensentin bewundern, die in einem gekreuzigten Schwein die erwähnte beschmunzelnswerte Skurrilität finden kann. Wirklich interessant ist aber die tabula rasa, das absolute Vakuum, das in ihrer Vorstellungswelt an der Stelle zu finden ist, an der ich bisher immer noch ein rudimentäres Verständnis, ein minimal bestücktes Organ für die jahrtausendalte christliche Tradition vermutet hätte. Oder doch zumindest bei jemand, der als Journalist fürs Feulliton arbeitet, eigentlich vorausgesetzt hätte.

Cruci fixus

Geschmückt ist der Artikel mit dem Foto einer weiteren herrlichen Skurrilität von Siegfried Anzinger. Auf diesem Bild schauen der heilige Hieronymus und der Löwe, mit dem er traditionell dargestellt wird, peinlich berührt weg, während vor ihnen Jesus vergnügt am Querbalken seines Kreuzes schaukelt (Bildunterschrift: „Was treibt Jesus da am Kreuz“, wiederum hihihi).

Vielleicht sollte man mal daran erinnern, was in der Kreuzigung eigentlich dargestellt wird. Das Kreuz war eine Erfindung der alten Phönizier, die die Römer mit ihrem Blick für praktische Lösungen dann von den Persern übernommen haben. Sie war als Massenhinrichtungsmittel geeignet, nach dem Sieg über die Sklavenarmee des Spartakus säumten Tausende von Kreuzen die römischen Landstraßen. Als einzige vergleichbare Todesart ist das Pfählen überliefert, ebenfalls im großen Maßstab z.B. von den Assyrern eingesetzt.

(Vorsicht, ab hier wenig weihnachtlich, aber es muss sein)

(Ich verspreche, dass ich vor Weihnachten noch einmal einen kurzen Post herausbringen werde, der der jahreszeitlichen Stimmung mehr entspricht. Jetzt aber weiter:)

Beide Versionen sorgen dafür, dass der Tod sich qualvoll und langsam vollzieht, gut sichtbar hoch oben am Kreuz oder auf dem Pfahl. Das Kreuz weist aber einige entscheidende Vorteile auf, neben dem einzigen Nachteil, dass es nicht ganz so billig ist wie der Pfahl.

Der Pfahl wird dem Opfer in den Anus gerammt und dann aufgerichtet. Das Problem dabei ist, dass es, von Laien ausgeführt, oft zu einem unerwünscht schnellen Ende führt, wenn dabei lebenswichtige Organe oder Arterien verletzt werden. Außerdem verlangt es eine auch in harten Zeiten wohl überdurchschnittliche Brutalität des Henkers. Kein Problem bei einzelnen Hinrichtungen, aber vielleicht doch bei Massenveranstaltungen wie z.B. denen von Vlad dem Pfähler im mittelalterlichen Rumänien.

Das Kreuz aber garantiert einen gleichbleibend langen Tod bei einer verhältnismäßig wenig anspruchsvollen Arbeit des Henkers. Beim Annageln an den Querbalken bleiben wichtige Organe und Gefäße unbeschädigt; nach dem Hochziehen und Fixieren am senkrechten Balken tut das Gewicht des Opfers die eigentliche Arbeit (näheres in Wikipedia)

Das wärs eigentlich. Gaskammern sind nie lustig. Landminen sind nie ironisch oder herrlich skurril. Und Kreuze auch nicht.  Nie.

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  2 Responses to “Postchristentum I”

  1. […] Eric Djebe gibt es Kulturkritik unter dem Titel “Postchristentum”. Es scheint hier auch eine Serie zu […]

  2. Lieber Eric,
    schade finde ich, dass du dich nur darüber beklagst, dass einige Dumme sich über den Gekreuzigten lustig machen. Das ist ja doch eine alte Praxis unter Nicht-Christen.
    Ich bitte dich, lass uns da Hineinhören in das Anstößige, Abstoßende das Kreuz zum Symbol des Heils zu erheben. Und wie sich das Anstößige umdreht und heilend wirkt.
    ‚Verflucht ist, wer am Holz hängt (Dtn 21,22f)‘
    steht im Tenach. Auch andere Religionen vom Islam, Judentum, Buddhismus bis zum Hinduismus haben da kein Verständnis. Zumindest habe ich mehrere Male von Vertretern ein tiefes Befremden ja Abscheu darüber gehört und gelesen. Mit einigen interessanten Ausnahmen, z.b Süd-, Mittel- und Nordamerikanischer Indigenas, irischen Kelten usw.
    Für mich drückt sich im Kreuzestod Jesu die ganze Tiefe der Theodizee aus: Warum kann Gott all das Leiden zulassen? Man kann daraus die Unmöglichkeit der Existenz Gottes schließen oder seine Undurchdringlichkeit.
    Aber ich kehre die Antwort einfach um, indem ich voraussetzte, dass das Leiden und das Böse da ist. Außerdem lehne ich die die Interpretation des Leidens als folge des Bösen ab, oder besser gesagt, ein großer Teil des Leides hat mit Bestrafung oder Selbstverschuldung nichts zu tun.
    Ich erinnere, dass in der Antike viele Juden und Nicht-Juden durch das Kreuz gedemütigt und gestorben sind. Die Brutalität der römischen Pax muss für viele Völker äußerst traumatisierend gewesen sein.
    In diesem Moment ist das Kreuz nicht nur ein Hinweis auf die Möglichkeit des unverschuldeten Leides, sondern viel weiter ein Hinweis auf die Würde auch eines Verfluchten und Gefallenen, auf die Würde des Leidenden als solchem.
    Das Kreuz gibt vielen Menschen in dieser Welt etwas zurück, was ihnen genommen wurde und ihnen zukommt.
    Schalom Jan

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