Jan 192012
 

Der Meister sprach: „Die Leute sagen alle: ‚Wir sind klug.‘ Doch gejagt und in einem Netz, einer Falle, einer Grube gefangen, wissen sie nicht zu entfliehen. Die Leute sagen alle: ‚Wir sind klug.‘ Doch haben sie sich ein einziges Mal für den Weg der Mitte entschieden, vermögen sie nicht, ihn auch nur einen Monat zu beschreiten.(Spruch des Konfuzius)
Die bornierte und grundlos selbstzufriedene Art, die Konfuzius hier beschreibt, hat es zu allen Zeiten gegeben. Trotzdem kann ich in Rage geraten, wenn ich täglich mit ihrer heutigen Ausprägung konfrontiert werde: Auf der einen Seite die stillschweigende Überzeugung, so intelligent, demokratisch, offen, informiert usw. usf. zu handeln, wie keine der Generationen vor uns. Und deshalb müssen wir uns auch nicht groß um deren  verschrobene und unwissenschaftliche Überzeugungen kümmern.
Auf der anderen Seite die tägliche Evidenz, wie jämmerlich schwach, wie bis in die letzte Faser absolut willenlos wir uns in die verbrecherischen und dummen Programme unseres Gesamtsystems einfügen und nach ihnen handeln. Siehe ein Hymnus, der vor wenigen Tagen in der Süddeutschen Zeitung (vom 5./6. Januar) auf ein Projekt in den demnächst überschwemmten Malediven gehalten wurde.

Juhu! Endlich zu spät!

Ein gläserner Tunnel verwandelt das Meer in ein riesiges Aquarium. Hinter dem Glas ziehen Fischschwärme vorbei. Wellen lassen die Sonne als Lichtspiel über den Meeresgrund tanzen. Die Menschen, die den Gang durchqueren, tragen Schuhe mit Spikes und Taschen voller Golfschläger. Ihr Ziel ist der erste schwimmende Golfplatz – dort, wo einst die Malediven lagen, die der steigende Meeresspiegel verschluckt hat.“ So beginnt der Artikel über ein Projekt eines niederländischen Konsortiums und mehr als diesen ersten Satz braucht es eigentlich auch nicht, um es bis in sein verfaultes Herz hinein zu erkennen. Also:

  • Es ist sowieso zu spät, irgend etwas Grundlegendes gegen die Erderwärmung und den daraus folgenden Anstieg des Meeresspiegels zu tun. Damit verschwinden zwar einige der schönsten Juwelen unseres Planeten auf ewig unter dem Wasser. Aber das ist letzlich nur von Vorteil, weil diese sinnlosen Stein- und Erdhaufen mit ihrem natürlichen Bewuchs von sich aus nur so im Meer herumliegen und damit keinen Beitrag zum ewigen Sinn des Universums leisten. Und der heißt: Kohle scheffeln.
  • Kohle scheffelt man, indem man sie dort abholt, wo sie sich in immer größeren Haufen ansammelt: Bei den reichsten 5 Prozent des Homo Sapiens, dieser kostbarsten Krone der der gesamten Schöpfung, also bei eben den Brokern und Erben, die da mit ihren Spikeschuhen und ihren Golftaschen durch den Glastunnel wandern.
  • Denn nur diese Gottmenschen können den erforderlichen Cash rüberschieben, um ein solches Riesenprojekt zu finanzieren und damit den Investoren und den Ingenieuren mit ihren gigantischen Schwimmbaggern und den Unmengen Stahl und den 500 Helikoptern und den Inneneinrichtern mit den teuersten Ebenholz-Imitaten dieser Welt und all diese wunderbaren und gigantischen Immobilien-Fonds mit 20 Schichten von Börsenderivaten oben drauf mit der nötigen Marie zu versorgen (wobei natürlich diese Golfspikeglastunnelwanderer noch ein gutes Stück reicher werden).
  • Juhu, Amen und Halleluja und was können alle miesepetrigen Spielverderber und Erderwärmungsjauler mit ihren lästigen Ökoparolen ausrichten gegen die wunderbare Zukunft der Malediven mit ihren schwimmenden Golfplätzen, Hotels, Jachthäfen, 43 kleinen Privatinseln, jeweils mit Haus, Pool und Bootsanlegeplätzen und Haufen von Luxusappartements für die Ärmeren, die sich noch nicht einmal so eine Schwimminsel leisten können.

Oh, sorry. Da war ich doch sehr ungerecht. Irgendwie muss man doch auch was fürs Image tun. Und deshalb endet der Artikel noch mal ganz lieb: „Wenn der Plan aufgeht, ziehen diese schwimmenden Bauten Luxus-Touristen und viel Geld auf die Malediven. Das wird gebraucht, um den zweiten Teil des Masterplans zu realisieren: Schwimmende Städte und Felder für die maledivische Bevölkerung, mit denen ihr Lebensraum für die Zeit nach dem Klimawandel gesichert werden soll.“
Das ist vielleicht sogar das Widerlichste an dem Ganzen. Denn das Geld, das diese Luxusmenschen bringen, stecken natürlich die Investoren ein, die das alles ja refinanzieren müssen, das ist ja auch der Sinn des Ganzen. Und wenn tatsächlich irgendwann einmal irgend etwas übrig bleibt davon, dann wird man plötzlich entdecken, dass diese schwimmenden Felder nie genug einbringen werden, um den schwimmenden Maledivern in ihren schwimmenden Städten auch nur eine Subsistenzwirtschaft zu ermöglichen. Und man wird ihnen dann den großzügigen Vorschlag machen, sie in hübschen Baracken irgendwo in Australien unterzubringen und sie ihr Leben lang mit WHO-Säcken voll leckerer Kwashiokr-Pampe zu versorgen. Moralisch gesehen, kann ein solch zynisches Feigenblatt nur einer absolut verkommenen Mentalität entspringen. Aber es geht hier nicht um Moral.

Die große Schwäche

Es geht hier vielmehr darum, dass wir in unserem gemeinsamen kulturellen Fonds keine Kraftquellen haben, aus denen heraus wir der großen Maschine nachhaltigen Widerstand leisten könnten (Um die Occupy-Bewegung ist es ja nach dem großen Hype schon wieder ziemlich still geworden). Und deshalb wäre es eine einleuchtende Taktik, in unserer Tradition nach solchen Quellen zu suchen. Wohlgemerkt, zu suchen. Eine Garantie, hier fündig zu werden, gibt es nicht, vielleicht nicht einmal eine Wahrscheinlichkeit. Aber der Versuch müßte unternommen werden.

Das Christentum?

Natürlich wird jetzt der eine oder andere Leser vermuten, dass Eric Djebe hier auf das Christentum schielt. Und natürlich hätte er/sie recht. Allerdings wäre damit zunächst nur eine vage Richtung vorgegeben. Denn diese Religion hat im Laufe der Jahrtausende ganz unterschiedliche Philosophien und Lebensstile hervorgebracht, von denen sich einige nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben.  Aber es wäre den Versuch wert. Immerhin hat diese Tradition auch eine Kultur der Armut und der Selbstbeschränkung enthalten. Und sie konnte zeitweise Menschen dazu motivieren, aus ihrem alten Leben auszubrechen und gänzlich neue und erstaunliche Wege zu beschreiten.
Ob es möglich ist, einiges davon wiederzubeleben, ist völlig offen. Vielleicht ist wirklich nichts Brauchbares dabei. Vielleicht gibt es wertvolle Elemente, die aber unter den heutigen Umständen einfach nicht mehr funktionieren; vielleicht wäre der Preis für ihre Wiederbelebung zu hoch. Aber suchen sollte man. Ernsthaft und in der Tiefe. Denn was haben wir zu verlieren? Eine schwimmende Privatinsel über den ertrunkenen Malediven?

Der nächste Post hat den Titel „Religionskriege“ und enthält eine historische Betrachtung über den Einfluß des Christentums auf Krieg und Frieden. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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  7 Responses to “Wir sind klug”

  1. Das Christentum mag ja Lebensstile der Selbstbeschränkung etc hervorgebracht haben, aber ich befürchte, diese Stile waren nie wirklich massentauglich, zumindest nicht, wenn sie nicht mit zum Teil enormen Repressionen verbunden waren.
    Vielleicht ist es ja auch eine falsche Vorstellung, die ich habe, daß eine gewisse Masse an Menschen mitmachen muß. Ich seh nur nicht, wie sonst eine ausreichende Wirkung erzielt werden könnte.

    • Zwei Gesichtspunkte dazu:
      Wie ich am Schluss meines Posts gesagt habe, ist es tatsächlich unklar, ob sich aus dieser Tradition wirklich fruchtbare Impulse in unsere heutige Zeit transferieren lassen. Dass man sich die Sache auf jeden Fall trotzdem ansehen sollte, ergibt sich aus totalen Defizit unserer Kultur an diesem Punkt. Man muss eben einfach alles untersuchen, das irgendwelche Ansätze verspricht.
      Zum Stichwort „massentauglich“: Es gibt Leuchtturmfunktionen, wie sie z.B. die Klöster im Mittelalter ausübten. Und ich habe neulich eine Monografie über die Bekehrung von Kaiser Konstantin zum Christentum gelesen. Darin wurde behauptet, dass zu dieser Zeit die Christen gerade mal 5% der Bevölkerung des römischen Reiches ausmachten. Und trotzdem übernahmen sie dann die Leitkultur des Imperiums. Das muss für heute nichts bedeuten, aber mit einer Strategie, die bei jeden Ansatz zuerst fragt, ob er massentauglich ist, bevor man sich überhaupt damit beschäftigt, werden wir nicht weit kommen. Jedenfalls nicht weit genug.

  2. Es wird Sie nicht wundern, Herr Djebe, wenn ich eine etwas andere Meinung als Sie vertrete.
    Das Christentum hat seine Chance gehabt. Und es hat sie aus meiner Sicht vergeigt, was aber nicht unbedingt gegen das Christentum spricht, sondern ganz allgemein mit der Unmöglichkeit zu tun hat, auf der Basis einer Ideologie eine bessere Gesellschaft zu errichten.
    Ich hoffe tatsächlich, dass die Menschen gelernt haben (auch durch das 20te Jahrhundert, in dem die Ideologien noch mal so richtig aufgetrumpft haben-die Bilanz ist verheerend) Patentrezepten zu misstrauen, und vorsichtiger, und vor allem im Dialog an Probleme heranzugehen.
    Und selbst wenn es nicht so wäre, wüsste ich nicht, was das Christentum zu wichtigen aktuellen Problemen Entscheidendes zu sagen hätte. Als es in den 80gern darum ging, in meiner Heimat die Folgen der Industrialisierung zu thematisieren, und konkreten Umweltschutz durchzusetzen(der Fluss an dem ich geboren bin, war ein stinkender Abwasserkanal geworden), konnte ich keine Christen unter den sich Sorgenden entdecken. Ich weiß, dass die „Bewahrung der Schöpfung“ heute zu den Themen von vielen Christen gehört. Aus dem Christentum ist sowas z.B. aber direkt nur sehr schwer abzuleiten.
    Und das gilt auch für viele andere entscheidende Zukunftsthemen.
    Ich denke, dass das Wichtigste überhaupt der Dialog, das Gespräch zwischen Menschen, Kulturen und Weltanschauungen ist. Auf dem Weg sind viele Probleme vielleicht lösbar. Und wenn jemand eine Ideologie vertritt, ist er, auch aus Erfahrung, öfters für einen breiten, offenen Dialog ungeeignet, weil er, zumindest in Teilen, der Überzeugung ist, die Wahrheit in Händen zu halten. Er wird nicht zuhören, wenn im Gespräch etwas auftaucht, was seiner Wahrheit widerspricht.
    Der Zweifel ist das, was wir am Dringensten brauchen, aus meiner Sicht. Der Zweifel macht bescheiden und lässt einen gegenteilige Meinungen erst als gleichberechtigt wahrnehmen. Gläubigen traue ich diesen für einen umfassenden, fruchtbaren Dialog nötigen Zweifel nicht mehr zu.

    • Mir ist der Begriff der „Ideologie“ in Ihrem Zusammenhang noch nicht ganz klar. Ist für Sie die Demokratie eine Ideologie? Oder der Nationalstaat? Oder der Kapitalismus? Es scheint ja so, als ob all diese Systeme ihre Chance im Moment vergeigt hätten.
      Und ja, theoretisch misstraut man Patentrezepten. Praktisch aber folgt man den Rezepten der Marktwirtschaft wie gehabt. Die meisten Leute heutzutage hegen leise Zweifel, was diese große Maschine angeht. Es gibt auch offene Dialoge dazu. Ändern tut das nichts.

  3. Zur ersten Frage: als Ideologie bezeichne ich ein mit Heilsversprechen durchsetztes Theoriegebäude, das nur unter erheblichen Schwierigkeiten modifiziert werden kann, und das dazu geeignet ist, Menschen schnell und effektiv zu instrumentalisieren und zu radikalisieren. Bei der Idee einer Demokratie scheinen mir die Gefahren, besonders für Letzteres sehr überschaubar zu sein.
    Und ich halte die Demokratie mitnichten für einen gescheiterten Versuch.
    Und außer offenen Dialogen haben wir nicht viele Möglichkeiten. Für mich ist ein sauberer Diskurs immer noch in den meisten Situationen kaum zu toppen.

  4. Wie ich am Schluss meines Posts gesagt habe, ist es tatsächlich unklar, ob sich aus dieser Tradition wirklich fruchtbare Impulse in unsere heutige Zeit transferieren lassen.

    Es ging mir nicht um das Christentum in erster Linie, sondern allgemein darum, daß ich nicht sehe, wie eine ausschlaggebende Gruppe an Menschen in eine Richtung gehen sollen, ohne daß Zwang oder Manipulation am Werk ist. Methoden also, die wir ablehnen. Ich habe eine gewisse Skepsis, was Überzeugungsarbeit angeht. Die kann auch immer nur eine kleine Gruppe zusammenbringen, aber Ihr Einwand mit der Leuchtturmfunktion stimmt natürlich (wobei es bei Konstantin und mehr noch in der Folge z einem Ausbau der Machtstellung des Christentms kam, so daß hier nun auch der Machtfaktor eine Rolle spielte. Ob dies nun dazu führte, daß es mit der Menschheit nach oben oder nach unten ging, daran scheiden sich die Geister, wenn ich mich nicht irre).

    Meine Gedanken schweiften inzwischen schon etwas weiter und gingen in eine Richtung, in der cydonia sich geäußert hat: Kommunikation. Ich bin zwar nicht der Meinung, daß es einen herrschaftsfreien Dialog wirklich geben kann, dazu sind die Voraussetzungen der Dialogteilnehmer zu unterschiedlich, aber ich sehe, daß ein solcher in einer Gruppe von Menschen, die einander positiv gegenüberstehen, eher zum Ziel führen kann. Dazu erinnerte ich mich an ein Buch von François Vouga, von dem mir vor kurzem Erzählt wurde, in dem es über die Strategien des Teufesl ging. Wenn ich mich recht entsinne, bestehen diese darin, einerseits Zwietracht zu sähen, aber andererseits auch eine Einheitskultur durchzusetzen, die keinem gerecht wird. Dann müßte doch die Strategie Gottes geade das Gegenteil sein: Eintracht unter verscheidenen Menschen, die alle ihre eigenen Grenzen und Fähigkeiten haben.
    Mein (durchaus noch unsortiert konfuser) Gedanke ist daher, daß das Christentum die Möglichkeit hat, solche Gemeinschaften auszubilden und zu stärken, die dann auch Leuchtturmfunktion übernehmen können.
    Ob nun das Christentm hier anderen Religionen etwas voraus hat, ist eine nochmals andere Frage. Ich mutmaße, daß gegenüber nichtmissionierenden Religionen von daher ein Vorteil bestehen könnte, weil Neumitglieder schneller und besser integriert werden können (nicht müssen). Das ist dann aber eher das Feld von Michael Blume…
    Was das Scheitern der Demokratie angeht, so bin ich jedenfalls der Meinung, daß die Demokratie als Heilsideologie, die sie zu Zeiten des Kalten Krieges ja noch war, ausgedient hat. Das Problem mit der Demokratie ist eben, daß auch sie kein stabiler Zustand ist, sondern sich leicht zur Mehrheitsdiktatur entwickeln kann. Das ist aber ein nochmals ganz anderes Thema.

  5. Um das klarzustellen: Ich bin sehr für Demokratie und sehr gegen jede Diktatur. Ich bin für Dialog und gegen Monolog (sonst würde ich hier die Kommentarfunktion abschalten). Und es gibt in unserer Zeit viele wunderbare Dinge, die es früher nicht gab und die man hochschätzen sollte. In vieler Hinsicht sind wir tatsächlich klug.
    Das Problem ist nur, dass es offensichtlich nicht reicht. Dass wir neue Wege finden müssen. Und dass wir jedes Potenzial prüfen sollten, ob da nicht was Brauchbares drinsteckt. Und (mein Argument): Dass wir nicht sagen „Christentum bäh“ oder meinetwegen auch „Marxismus bäh“ oder „xyz bäh“ (hier bitte die eigene Lieblingsidee einsetzen), bevor wir die betreffende Sache nicht genau analysiert haben. Und (wieder mein Argument) niemand kann mir erzählen, dass die augenblicklichen Erklärungen, was denn genau der Inhalt des Christentums ist, eine solche Analyse darstellen.
    Der nächste Post wird sich mit einem der Lieblings-Bähs auseinandersetzen: Dass das Christentum aufgrund seiner Radikalität Kriege provoziert.

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