Apr 062012
 

Ich hatte vor, den „Basisdiskurs Religion“ ohne Unterbrechung durchzuziehen. Heute, am Karfreitag, habe ich trotzdem beschlossen, einen Post zum Thema Ostern zu bringen. Thema: „Das leere Grab“. Ich werde darin einige Überlegungen formulieren, die auf der Hand liegen und aus irgend einem Grund von der offiziellen Theologie links liegen gelassen werden. Ziel ist natürlich auch, aufzuzeigen, dass es hier noch viele Gedanken gibt, die nur darauf warten, in die Welt zu treten, wenn man erst einmal bereit ist, ausgetretene Pfade zu verlassen.  (Nach langer Unterbrechung habe ich ihn jetzt fertig gestellt. Falls jemand auf den zweiten Teil gewartet hat, tut es mir leid. Aber manchmal muss ich mich um meinen Kühlschrank kümmern, der sich leider immer noch nicht von selber füllt.)

„Wie jeder andere“

Mir persönlich fielen diese ausgetretenen Pfade vor langer Zeit in einem Spiegel-Interview mit einem berühmten Theologen auf (den Namen habe ich vergessen). Dort fiel von Seite dieses Professors der bemerkenswerte Satz: „Jesus ist in seinem Grab verwest wie jeder andere.“ Nun gibt es bekanntlich ganze Kulturkreise, wie z.B. den der Hindus, in denen der Leichnam verbrannt und seine Asche verstreut wird. Bei den Mongolen werden die Toten den Geiern vorgesetzt. Und natürlich gibt es unzählige Situationen, in denen niemand bestattet wird und es dem Zufall überlassen ist, was mit der Leiche geschieht: Schiffsuntergänge, Feuersbrünste, Bombenangriffe usw. Oder sie wird ganz im Gegenteil mumifiziert, entweder durch künstliche Maßnahmen, wie bei den Pharaonen oder durch besondere Umweltbedingungen.

Ich kann nur darüber spekulieren, warum jemand eine so offensichtlich kontrafaktische Aussage von sich geben könnte wie in diesem Zitat. Ich glaube aber, dass das einer Art Rückzugsmentalität entspringt, die in der akademischen Theologie die Regel geworden ist. Ergebnis dieser Mentalität ist das vorauseilende Räumen von Positionen, die irgendwie so aussehen, als könnten sie vielleicht einmal wissenschaftlich unhaltbar werden.

Ein besonders krasses Beispiel für diese Mentalität war eine Theorie, die vor einigen Jahrzehnten ganz offiziell in theologischen Publikationen zirkulierte, bis sie dann doch eines natürlichen Todes starb. Nach dieser Theorie wurde der Leichnam Jesu unter dem Kreuz von wilden Hunden gefressen. Natürlich gibt es nicht den Hauch eines Ansatzes von Belegen für diese Spekulation und in anderen Wissenschaften wäre sie einfach ignoriert worden. In der Theologie bestand ihr Charme jedoch darin, dass sie ihre Anhänger auf einen Schlag gegen jedes skeptische Argument immunisierte. Nie wieder wird man Prügel beziehen wegen seines naiven Glaubens an ein leeres Grab, alle lästigen Überlegungen, wie es denn hätte sein können, sind auf einen Schlag entsorgt. Es ist der genialste, umfassendste und vollständige Rückzug von allem, wofür man vielleicht Prügel einstecken könnte.

Die Fakten

Natürlich gibt es ernstzunehmende Hinweise darauf, dass sich die Sache nicht so zugetragen hat, wie in den Evangelien geschildert wird. Abgesehen davon, dass die Berichte untereinander nicht deckungsgleich sind, stammen sie alle aus einer Zeit nach der Zerstörung Jerusalems. Die frühesten Dokumente, die Briefe des Paulus, wissen noch nichts von von einem leeren Grab, sondern sprechen nur von Erscheinungen des Auferstandenen. Wäre die Tatsache des leeren Grabes damals allgemein bekannt gewesen, wäre sie doch zumindest erwähnt worden, um die Verkündigung von der Auferstehung zu unterstützen. Der allgemeinen akademischen Lesart nach sind demnach die Erzählungen von den Frauen, die das leere Grab vorfanden, nachgelieferte Konstruktionen.

Erstens mussten sie entstehen, um die Tatsachen in einen logischen Zusammenhang zu bringen, denn: Wie kann ein Auferstandener in Galiläa jemandem erscheinen, wenn er gleichzeitig in Jerusalem im Grabe liegt? Und zweitens entsprachen sie einfach den Regeln der Mythifizierung und Glorifizierung, die jede Religion im Laufe der Zeit ihrem Ursprung und ihrem Gründe angedeihen lässt. Und nach der Zerstörung Jerusalems und der Zerstreuung seiner Einwohner war das Wissen um die wahren Tatsachen von damals so geschwächt, dass die Juden, als die ersten Hauptgegner des Christentums, dem Mythos des leeren Grabes nichts mehr entgegen setzen konnten.

Was nicht passt

Zunächst einmal überzeugt mich dieses letzte Argument nicht ganz. Wie im Matthäus­evangelium erwähnt, war ein vermutlich noch zu seinen Zeiten aktuelles Argument der Juden, dass die Jünger Jesu seinen Leichnam gestohlen hatten, um eine Auferstehung vorzutäuschen. Offensichtlich hatten die damaligen Juden die Tatsache des leeren Grabes akzeptiert, anstatt es abzuleugnen, und dafür die kompliziertere Version des Diebstahls verbreitet. Das wird immer noch am besten dadurch erklärt, dass das Grab tatsächlich in irgendeiner Art leer war.

Zweitens und vor allem: Die Erzählungen von der Auferstehung enthalten sämtlich an zentraler Stelle ein Element, das nicht in das literarische Schema eines nachträglich gelieferten Mythos passt, eines Mythos, der die Vergangenheit sozusagen glatt bügelt und in die gewünschte Form bringt.

nach langem Schweigen des Autors aufgrund widriger Umstände nun hier der zweite Teil:

Ein solche rückwirkende Anpassung der Vergangenheit an die aktuellen Zustände zeigt sich ganz klar in der offiziellen Bevollmächtigung der Apostel durch den Auferstandenen im Johannesevangelium. Hier besucht der verklärte Christus mehrfach die Apostel, spricht mit ihnen, führt ihnen einen sozusagen wissenschaftlichen Beweis für seine leibliche Auferstehung vor, indem er den „ungläubigen Thomas“ unter ihnen handgreiflich seine Todeswunden vorführt usw. Vor allem aber setzt er die Apostel ein als seine Bevollmächtigten: Er haucht ihnen den heiligen Geist ein, damit sie Sünden erlassen können oder eben nicht und schickt sie zur Verkündigung des Glaubens in die Welt hinaus.

Diese Erzählung weist eine klare Motivation auf : Es wird die Praxis der frühen Kirche und die Stellung der Apostel darin auf den Religionsgründer selbst zurück geführt, das dient zur Begründung und Stabilisierung der Verhältnisse. Daneben aber ist das Ganze auch literarisch sinnvoll. Es werden ja hier die Berichte über das Leben Jesu fortgeführt und zu Ende gebracht. Dies bedeutet, wie jeder Autor weiß, dass man das Personal der bisherigen Geschichte beibehält und ihre Entwicklung auf ein sinnvolles und befriedigendes Ergebnis hinsteuert. So wird bei Johannes eine runde Sache daraus: Predigt und Tod Jesu münden in den Aufbruch einer neuen Religion, die zu Lebzeiten der damaligen Verfasser bereits fulminante Erfolge zeitigte. Wäre das Ganze als Film gedreht worden, würde jetzt zum Schluss noch einmal die Filmmusik aufbrausen (komponiert von Mantovani), die Credits würden über die Leinwand laufen vor dem Hintergrund der aufgehenden Sonne.

Nun laufen aber die Auferstehungsgeschichten in den drei synoptischen Evangelien dieser Logik zuwider. Sie machen kaum Sinn als nachgelieferte Konstruktionen, die einen später entstandenen Glauben stützen sollen und sie funktionieren auch literarisch schlecht, weil hier ganz am Ende ohne Einführung plötzlich eine Gruppe von Akteuren auftritt, von denen zuvor noch nie die Rede war und die dann wieder verschwindet, ohne dass man einen brauchbaren Blick darauf erhält. Ich spreche hier von den Frauen.

Die Frauen?

Sie tauchen in den Evangelien erst in Zusammenhang mit dem Tode Jesu auf, auf seinem Weg zum Kreuz z.B. tröstet er eine Gruppe weinender Frauen. Sie kümmern sich offensichtlich um seinen Leichnam, in den Ostergeschichten sind sie mit Binden und Spezereien unterwegs, offensichtlich, um ihn einzubalsamieren und so zu erhalten. Und Matthäus schiebt, ohne jeden Zusammenhang, mitten in seinen Bericht von der Kreuzigung die Schilderung einer Gemeinschaft ein:

Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen; die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient; unter ihnen war Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

Es ist in diesem Zusammenhang natürlich nichts beweisbar, aber aus den Erzählungen der älteren Evangelien scheinen sich nach dem Tode Jeus zwei Gruppen heraus zu schälen: Die eine der Frauen, die in Jerusalem blieben und sich um den Leichnam kümmerten und die zweite der Jünger, die nach Galiläa zurück gingen und dort die ersten Erscheinungen des Auferstandenen erlebten, wie es bei Markus der Engel am leeren Grab den Frauen verkündet: „Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“

Die Evangelien lösen diesen Widerspruch, indem sie die Frauengruppe mit dem Leichnam Jesu als Mittelpunkt nur knapp drei Tage existieren und die Erscheinungen in Galiläa danach stattfinden lassen. Gegen diese offizielle Version sprechen die Gründe, die ich zuvor angeführt habe. Und die gängige Lösung ist es dann, das leere Grab überhaupt zu leugnen.

Wenn man sich aber nicht von der beschriebenen Rückzugsmentalität der akademischen Theologie anstecken lässt, gibt es eine wesentlich zwanglosere Version: Diese beiden Gruppen haben einfach für eine Zeit nebeneinander funktioniert: Wenn ich ein intensives spirituelles Erlebnis des Auferstandenen habe, wie es etwa von den Jüngern bei Emmaus geschildert wird, zerbreche ich mir nicht den Kopf darüber, dass das ja „eigentlich“ gar nicht sein kann, weil der Leichnam noch in Jerusalem liegt. Und wenn ich diesen Leichnam vielleicht Tag für Tag pflege und mich um ihn kümmere, dann werde ich mich darin natürlich erst recht nicht von Geschichten über Erscheinungen irre machen lassen.

Das leere Grab

Wenn ich von dieser zwanglosen Variante ausgehe, dann stehen mir zwei Versionen offen. Erstens kann ich den Leichnam Jesu bis zur Zerstörung Jerusalems dort lassen, wo er ist. Nach der Zerstörung ist das Grab oder die Erinnerung daran verschwunden und es bildet sich die Legende vom leeren Grab, weil das einfach besser zu den Visionen eines lebenden Jesus passt. Oder man geht davon aus, dass es irgend wann einmal wirklich leer war. Die Lebendigkeit der Schilderung in den Evangelien legt das nahe.

Es kann Dutzende von Gründen geben, warum das so war. Die Version von Seiten einiger Juden, die in den Evangelien erwähnt wird, ist die, dass die Jünger den Leichnam gestohlen haben, um eine Auferstehung zu faken. Ich persönlich halte das für möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Der Enthusiasmus der jungen Gemeinde passt einfach nicht zu dem massiven Zynismus, der zu einer solchen Tat nötig ist.

Einleuchtendere Gründe für einen Diebstahl wären z.B. eine Maßnahme der römischen oder jüdischen Obrigkeit, die einen Kult um die Grabstätte ein für allemal erledigen wollten. Oder der Besitzer des  Grundstücks wollte ihn abschaffen. Oder jemand wollte eine so mächtige Reliquie, wie es der Leichnam dieses berühmten Wundertäters sicher war, in seinen Besitz bringen (ähnliche Geschichten stehen bei Petronius).  Wie dem auch immer war, eine solche zeitliche Abfolge würde erklären, warum die frühesten Texte das leere Grab nicht als Beweis für die Auferstehung nutzen. Und später würde sich die Erinnerung in die Version der Evangelien verschieben, weil alles so einfach besser zusammen passte.

Mir gefällt dieses letztere Szenario am Besten. Nicht nur, weil es mir als Hypothese mindestens so einleuchtend erscheint wie alle anderen. Sondern auch aus poetischen Gründen. Während der Rest der Gemeinde den Triumph des Auferstandenen feierte, pflegte diese Gruppe von Frauen seinen geschundenen Leib, der vormals als lebendiger Mensch über die Erde geschritten war, gelacht, gegessen und getrunken hatte. Und sie waren dabei gewesen bei seinem schändlichen und grausamen Tod. Sie hatten Tränen vergossen und hielten nun die Erinnerung wach an einen Menschen aus Nazareth, der eine allzu große Mission auf sich genommen hatte und von ihr vernichtet wurde, an das geschlachtete Lamm.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Weltreligionen: Buddha„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie den Newsletter.

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  2 Responses to “Das leere Grab”

  1. Ich finde es sehr spannend wie wie die Blogbeiträge aufziehst und bin begierig es weiterzuverfolgen.
    LG Friedmut

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