Jan 192014
 

Die Grundposition des Symbolons habe ich den Ego-Punkt genannt. Das hat vielleicht ein ganz kleines bisschen mit Egoismus zu tun, so gut wie gar nichts mit der Freud’schen Konstruktion eines Ego zwischen dem Über-Ich und dem Id oder Es, sondern ist einfach die lateinische Bezeichnung für Ich.

Ich selbst: Wo stehe ich im Leben, was ist mein Platz in der Welt und was geschieht mit meinen wenigen kurzen Jahren zwischen Geburt und Tod? Das ist, selbstverständlich und notwendigerweise, die Ausgangsposition sein für alles, was Religion, meinetwegen auch Lebensphilosophie oder irgend etwas in dieser Richtung heißt.

Geht es da lang?

Nun neigen derartige Fragen und Diskussionen dazu, umgangssprachlich gut funktionierende Begriffe mit pseudophilosophischem Ballast aufzuladen, bis die ganze Gegend in einen bedeutungsschweren Nebel versunken ist, in dem dann ganze Galaxien überflüssiger Diskussionen entstehen (ich denke, ich werde noch mal einen kleinen Post zum Thema „Willensfreiheit“ einschieben).

Leben wir denn nicht alle so schlecht oder recht dahin, schlagen uns mit den Problemen des Alltags herum, nehmen so viel von den Freuden am Wegesrand mit, wie möglich und gehen zuletzt mit mehr oder weniger Würde aus dieser Welt? Das ist es doch letztlich, so einfach und so schwierig. Warum da noch alle möglichen Bedeutungen draufladen, dieses vielgestaltige Etwas in begriffliche Geleise zwingen, die doch nur die gerade aktuellen Vorteile widerspiegeln? Eine gute Frage.

Das Einfache ist das Schwierige

Nehmen wir doch einmal dieses fast bewusstlose Dahinleben als Ideal. Keine Zwänge anerkennen, die Dinge nehmen, wie sie kommen: Das ist keine Beschreibung unseres täglichen Lebens, das ist bestenfalls ein Ziel, bestenfalls deshalb, weil es einer Anstrengung unseres Bewusstseins bedarf, um es auch nur erahnen zu können. Noch schwieriger ist es, die Mächte in uns und um uns zu erkennen, die uns daran hindern und was unsere Fähigkeiten betrifft, sie zu überwinden, so sind sie praktisch nicht vorhanden. Jeder von uns kann dies ganz einfach verifizieren, indem er es einige Jahre, besser Jahrzehnte seines Lebens mit all seiner Kraft versucht.

Nehmen dieses einfache Dahinleben als Ziel. Verzichten wir, falls nötig, auf unsere Pläne, die Welt auf irgendwelche großen Ziele hinzuschrauben. Verzichten wir, falls nötig, auf unsere Hoffnung auf eine gesellschaftlich akzeptierte Stellung oder eine Form von Nachruhm in unserer Familie, einer Gemeinschaft oder gar der gesamten Menschheit. Und so weiter, und so fort. Oder vielmehr, tun wir so, als ob wir darauf verzichten würden, das genügt erst einmal (es bedarf viel mehr als einer Willensanstrengung, solche Programmierungen aus unserem Geist zu löschen).

Vielleicht meinen auch viele von uns, dass ein solcher Akt bei ihnen unnötig sei, weil sie ohnehin keine großen Ziele verfolgen. Es ist zweifelhaft, welche von diesen Ausgangspunkten der bessere ist, um zur Erkenntnis dessen zu kommen, was unser Leben bestimmt und steuert. Wirklich gut ist keiner von ihnen, zu sehr sind die Programme, die uns bestimmen, mit hundert Wurzeln tief in unserem Wesen verankert.

Selig sind die Armen

In der Bergpredigt wird diese Seligpreisung begründet mit der Zukunft des Gottesreiches, in dem die Armen das Land erben werden. Und im Gegenzug erklärt Jesus, dass leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Himmelreich. Warum? Was bedeutet das? Die erste Antwort wäre einfach die einer ausgleichenden Gerechtigkeit: Wem es jetzt schlecht geht, dem soll es dann gut gehen und umgekehrt. Aber es geht um mehr.

Den Vergleich mit dem Kamel und dem Nadelöhr brachte Jesus anlässlich einer Episode mit einem jungen reichen Mann. Der hatte ihm von seinem spirituellen Hunger nach einem radiakal richtigen Leben erzählt und Jesus hatte den Weg gewiesen: Den Besitz verkaufen und ihm nachfolgen. Dazu konnte sich dieser aber nicht durchringen, obwohl er über seine eigene Unfähigkeit verzweifelt war, er war gefangen, verstrickt in in seiner Lebensweise, die ihn durch viel Zuckerbrot und wenig Peitsche abhängig gemacht hatte von ihr. Die Art, wie diese Programmierung funktioniert und im Laufe des Lebens immer neue Bereiche einfängt und sich untertan macht, zeigt das Gleichnis vom reichen Kornbauern, wie Luther es genannt hat.

Darin fährt ein Landbesitzer eine Rekordente ein, die nicht einmal mehr in seine Scheunen passt. Wie reagieren? Ganz einfach: Die alten Scheunen abreißen und größere bauen. So pflanzt sich eine Lebensweise fort, wird immer stärker und unangreifbarer, ohne dass sich ihr Diener dessen bewusst ist, für ihn ist das alles die freie und souveräne Entscheidung seines rationalen Willens.

Der Aussichtspunkt

Und wo tut sich nun der Blick auf in die Tiefen der Dinge, die uns regieren? Es gibt diese Situation, wo sich der Boden unseres Lebensschiffes in Glas verwandelt, wo wir, unklar und ohne Einzelheiten, unter unseren Füßen zwischen dem Schlamm, den sie aufwirbeln, die Bewegungen von diesen riesigen Krakenarme erblicken, die uns und unsere Welt in ihren Griff nehmen.

Es ist kein gutes Gefühl, plötzlich auf Glas zu stehen, wo wir eben noch festen Grund unter unseren Füßen hatten. Nur wenige Leute sehen da gerne hin. Diejenigen, die dafür stark genug sind, sind meistens die, die gar nicht in diese Situation kommen, die ihr Lebensschiff mit festen Balken und guten Segeln ausstatten können. Die beste Geschichte von jemandem, der durch den Glasboden schaute, ist die von Hiob im Alten Testament. Aber davon später.

In unseren Zeiten in diesem Land hat derjenige eine sehr gute Chance dafür, der plötzlich arbeitslos wird. Das ist eine Position, die in in unserer Gesellschaft einfach nicht vorgesehen ist und für die deshalb auch keine Form, keine Verhaltensmuster vorgesehen ist. Er ist frei, nein, nicht ganz, denn es bleiben ihm alle Ängste dessen, der aus allem herausgefallen ist. Und da er keine Methode hat, um mit ihnen fertig zu werden, fängt er sich selbst wieder ein in ein wirres System kurzfristiger und sinnfreier, leerer Aktionen. Das hindert ihn zwar daran, irgend etwas Sinnvolles zu tun, aber wenigstens lebt er nicht in einem Vakuum. Das ist eine Erfahrung, die jeder und jede in einer solchen Situation erlebt (ich habe es selbst erlebt und jahrelang auf diesem Feld gearbeitet): Nichts zu tun, aber keine Zeit.

Die Moral

Wenn die gesellschaftlich definierten Verhaltensmuster wegfallen, entwickeln wir selbst welche: Irgendwelche, meist ziemlich kontraproduktive, aber zumindest irgendwelche. Wenn jemand das erkennt, dann ist er von dort aus auch in der Lage, hinter die einzelnen Muster zu sehen und den gesamten Mechanismus zu erahnen, mit dem wir uns die Korsette unseres Lebens erschaffen. Und er ist in seiner Verlorenheit, verlassen von all diesen Strukturen, vielleicht in der Lage, einen eigenen, freien Kern zu erahnen, ein Kern, der als Auslöser nur diese eine Erkenntnis hat:

Das Nichts hat Macht über mich. Und alles.

Das heißt: Die Mechanismen, die mein Leben steuern, haben manchmal prächtige Hüllen und manchmal eher stinkende Fetzen an. Aber sie sind nichts wert. Und trotzdem haben sie Macht über mich. Eigentlich hat alles Macht über mich. Aber ich sehe mich zwischen all diesen Maschinen. Zwar als Opfer, aber immerhin mich, so klar mich, wie sonst nie.

Ich, der Unfreie. Ich.

In dem Moment, in dem ich aufhöre, entweder gegen diese Mächte in meinem Leben zu kämpfen (und damit neue Muster erschaffe), oder sie hinzunehmen, der Moment, in dem ich mich einfach aufrecht hinstelle und sie ins Auge fasse, das ist der Moment, in dem ich zum ersten Mal eine Ahnung bekomme, was „ich“ sein könnte: Nur ein Gefühl, aber was es auch ist, es hat als Kern, als sein bestimmendes Prinzip, die Erkenntnis. Aber um über diesen ersten, negativen Ansatz hinwegzukommen, ist es nötig, auf die innersten, ersten Erkenntnissse des Christentums zurückzugreifen.

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