Nov 112013
 

Ich habe soeben festgestellt, dass ich ein Jubiläum verpennt habe: Mein letzter Post war die Nummer 100! Na, dann feiere ich eben hier die Nummer 101. Und es geht weiter mit der Frage, ob Gott existiert und wie diese Frage überhaupt verstanden werden kann.

Von meinem vorangegangenen Post her sollte es klar sein, dass ich die Allmacht Gottes im Sinne des pantokrator auffasse: Gott ist also nicht allmächtig, weil er in der Lage wäre, alles zu tun, aber je nach Tagesform in den Lauf der Welt eingreift oder auch nicht. Vielmehr übt er seine Macht überall in diesem Lauf der Welt aus, er macht das Licht und die Finsternis, er gibt Frieden und schafft Unheil. Im Folgenden nenne ich diese radikale Form die starke Allmacht (ich habe auch die Formulierung „Allwirksamkeit“ gefunden, aber für mich hört sich das irgendwie zu akademisch an).  (Übrigens: Hier geht’s los mit der Reihe „Existiert Gott?“)

Es wird Einiges überflüssig

Wenn ich diese starke Allmacht als die entscheidende Eigenschaft Gottes erkenne, wenn es um die merkwürdige Frage nach seiner Existenz geht, ergibt das sofort einen interessanten Effekt für die Beschreibung Gottes, die ich im ersten Post dieser Serie zitiert habe:

… er ist eine körperlose Person (d.h. ein Geist), allgegenwärtig, der Schöpfer und Erhalter des Universums, ein frei handelndes Wesen, fähig, alles zu tun (d.h. allmächtig), allwissend, vollkommen gut, ein Grund für moralische Verpflichtung, unveränderlich, ewig, ein notwendig Seiendes, heilig und verehrungswürdig.

Es ist zeigt sich sofort, dass die starke Allmacht hier gar nicht in Betracht gezogen wurde, ansonsten würden mehrere Punkte aus dieser Liste entfallen, weil sie aus der starken Allmacht folgen. Das ist erstens die Allgegenwart (ein Etwas, das alles bewirkt, ist natürlich auch allgegenwärtig), die Allwissenheit (insofern „Wissen“, bezogen auf dieses Etwas, überhaupt sinnvoll ist, weiß es natürlich, was es überall tut) und vermutlich auch die Ewigkeit (solange irgend etwas geschieht, und sei es auch die Fortdauer des Nichts, ist auch Gott da, der es bewirkt).

Am nächsten scheint der starken Allmacht noch die Rede vom Erhalter des Universums zu sein, eine Vorstellung, die zumindest irgend eine Begleitung oder Steuerung des Weltenlaufs zu implizieren scheint.

Die Schöpfung

Interessant ist aber vor allem die Bezeichnung als Schöpfer des Universums. Die Erschaffung von etwas, das Geschehnis, bei dem etwas zu existieren beginnt, ist ja auch nur ein Geschehnis unter all den anderen Geschehnissen, die alle gleichermaßen von der starken Allmacht bewirkt werden. Insofern wirkt das Tun der Kreationisten die den „Schöpfer“ so heftig verteidigen und dabei bedenkenlos die Lehre von der Evolution und damit letztlich den ganzen wissenschaftlichen Ansatz und darüber hinaus jede ehrliche Suche nach der Wahrheit angreifen, ziemlich merkwürdig. Denn da alles, was geschieht, unmittelbar von Gott bewirkt ist, ist eine Erschaffung von Adam aus Lehm ebenso unmittelbar zu Gott wie auf der anderen Seite jeder der Schritte in der Veränderung der Erbanlagen eines Lebewesens, die letztlich zum Genotyp des Menschen geführt haben.

Ich möchte hier ganz klar betonen, dass dies kein „liberales“ Zurückweichen eines radikalen Gottesbegriffs vor dem Angriff der Wissenschaft darstellt. Ganz im Gegenteil steht der Kreationismus für das Zurückweichen des Handeln Gottes aus den alltäglichen Einzelheiten des Weltenlaufs und dementsprechend für die Notwendigkeit, es wenigstens am Anfang dieser Welt noch einmal aufscheinen zu lassen. Wer Gott im Fallen eines Steines erkennt, für den hat der Beginn dieser Welt kein besonderes spirituelles Gewicht.

Philosophische und andere Fragen

Die anderen Eigenschaften, die hier aufgezählt werden, sind von sehr verschiedener Natur. Ich möchte sie unterteilen in

  • Tatbestände, die aus der anschließenden theoretischen Formulierung der starken Allmacht folgen (körperlos, unveränderlich, vielleicht auch das notwendige Sein).
  • abstrakte Termini für spirituelle Inhalte, die sich aus der Vision der starken Allmacht ergeben (ist eine Person, frei handelnd)
  • Vorstellungen, die unterschiedlichen Erweiterungen des Kernbegriffs der starken Allmacht angehören (Grund für moralische Verpflichtung, vollkommen gut)
  • andere (heilig und verehrungswürdig)

Den Eigenwert und die Beziehung dieser Eigenschaften zu der der starken Allmacht werde ich noch diskutieren. Zuerst möchte ich aber diese Vorstellung genau fassen: Wo in unserem alltäglichen und wissenschaftlichen Weltbild können wir sie verorten? Und was bedeutet das für die Frage: Existiert Gott?

Geht es auch ohne Gott? Offensichtlich …

Im angelsächsischen Sprachraum gibt es immer noch engagierte Diskussionon eines traditionellen Typs, die die Existenz Gottes beweisen wollen; traditionell insofern, als sie versuchen, sie als metaphysisch notwendig, als für jedes vernünftige menschliche Denken unumgänglich darzustellen; Gott zu leugnen entspricht demnach in etwa dem Versuch, die Zahl zwei zu leugnen. Von außen gesehen, bewegt sich diese Diskussion in einem etablierten Sprachspiel akademischer Argumente, meist in der Version der zeitgenössischen analytischen Philosophie.

De facto verliert diese Vorstellung aber je mehr an Plausibilität, desto mehr wir in Kontakt kommen mit immer mehr Menschen, die in ihrem Weltbild oder auch in ihrer Spiritualität nichts aufweisen, was dem christlichen Gott entspricht und zwar kluge, nachdenkliche und wertvolle Menschen und desto mehr viele von uns (zum Beispiel ich) in einer Umgebung leben, in der Gläubige immer seltener werden. Es ist einfach keine wirklich realisierbare Vorstellung, dass all diese Leute nicht ganz so schlau, nicht ganz so spirituell oder nicht ganz so moralisch sind wie ich, weil sie ansonsten die Existenz Gottes erkennen und bejahen müssten.

Und auch in den großen Räumen von Geographie und Geschichte zeigt sich dasselbe Bild: Je nachdem, wie man den Beginn der Menschheit ansetzt, ist sie mindestens einige zehntausend Jahre ohne den einen Gott ausgekommen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie das, in großen Teilen, auch in der Zukunft tun wird. In vielen Länder dieser Welt ist z.B. der Buddhismus mit seiner tiefen und ausgefeilten Lehre die vorherrschende Weltanschauung und allen Versuchen der Vereinnahmung zum Trotz ist darin nichts von dem monotheistischen Gott zu finden.

Die Vorstellung, dass entweder all diese Menschen aus reinem Zufall nicht auf die Denk­notwendigkeit Gottes gekommen sind, ist nicht sehr wahrscheinlich. Und die Möglichkeit, dass sie so kompliziert und anspruchsvoll ist, dass eben nur auserwählte westliche Kapazitäten sie erkennen können, kann ich nicht akzeptieren. Die Frage nach der Existenz Gottes und die Antwort darauf muss nahe an dem spirituellen Gehalt der Gottesvorstellung und damit nahe am Denken und an der Erfahrung des Menschen angesiedelt sein; ansonsten wird vielleicht irgend etwas „bewiesen“, das aber sicher mit dem Gott der Offenbarung kaum etwas zu tun hat.

Gott als Theorie

Wie soll man also die Vorstellung von Gott und seiner Existenz verstehen? Ist sie eine unverbindliche Idee, die viele Leute aufgrund ihrer Erziehung im Kopf haben, die zwischen all den anderen Vorstellungen der Welt und des Schicksals der Menschen herumkugelt und die einigermaßen folgenlos abgelegt oder angenommen werden kann? Das hört sich irgendwie nicht richtig an, aber was ist die Alternative?

Tatsächlich gibt es eine klare (und durchaus gängige) Parallele zu dem Glauben an einen allmächtigen Gott: Eine wissenschaftliche Theorie. Dies heißt ausdrücklich nicht, dass ein solcher Glaube wissenschaftlich ist, dazu fehlen ihm eine ganze Reihe von wichtigen inhaltlichen Merkmalen und dazu greift er zu tief ein in unsere Sicht auf die Welt, unser Schicksal und uns selbst. Aber formal bestehen große Ähnlichkeiten, die uns helfen können, die Frage nach der Existenz Gottes richtig zu verstehen.

Und hier geht’s zum nächsten Post

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