Nov 222013
 

Meine Reihe zum Thema „Existiert Gott?“ kommt jetzt allmählich auf ungewohntes Gelände. Ich werde in diesem Post erklären, wie eine „Theorie“ des (stark) allmächtigen Gottes aussieht.

Übrigens: Hier geht’s los mit der Reihe „Existiert Gott?“

Dinge und Tatsachen

Die Allmacht Gottes bedeutet, dass er alles beherrscht, alles umgreift, alles kommt aus seiner Hand: Licht und Finsternis, Frieden und Unheil. Gefühlsmäßig sehen wohl die meisten Gläubigen innerhalb der Allmacht einen besonderen Bereich der Schöpfung (sei dies die Weltenschöpfung ganz zu Beginn oder eine ständig andauernde creatio continua, mit der man insbesondere das Ins-Leben-Rufen neuerer Lebensformen im Rahmen der Evolution meint. Und sekundär zu diesem Ins-Leben-Rufen neuer Dinge gibt es dann die Fähigkeit Gottes, in die Geschehnisse einzugreifen, die von diesen Dingen ausgelöst werden und sie Kraft seiner Macht zu verändern oder zu steuern.

Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn diese Zweiteilung nicht die grundlegende Idee der Allmacht verunklaren würde. Deuterojesaias spricht von Frieden und Unheil, dies sind aber keine „Dinge“ (Lebewesen, Gegenstände), sondern Zustände, Prozesse, das, was Wittgenstein meint, wenn er im zweiten Satz seines Tractatus Logico-Philosphicus schreibt: „Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.“ Logisch gesehen, ist es also gerade umgekehrt: Nicht das Bewirken von Tatsachen ist sekundär zum Ins-Leben-Rufen von Dingen, sondern Letzteres ist nur ein Spezialfall des Ersteren: Gott bewirkt all das.

Erst mal ganz einfach

Ich beginne mit einer etwas ausführlicheren Formulierung dieses Satzes:

  • Es gibt genau ein x (namens Gott), das alle Ereignisse bewirkt.

Und das ist soll wirklich ein Beginn sein: Es ist diese Erkenntnis, die am Beginn des wahren Monotheismus steht; hiervon gehe ich aus und von nichts sonst. Und ich gehe in winzigen Schritten vor und prüfe jeden von ihnen. Welche möglichen Einwände könnte jemand machen, dem diese erste Formulierung zum ersten Mal begegnet? Welche Fragen würde ich selbst haben?

Die erste Frage wäre die nach dem „Bewirken“. Ich nehme als Beispiele einen Stein, der zu Boden fällt und auch, wie Deuterojesaias, die Einnahme Babylons durch den Perserkönig Kyros. Für das erste Ereignis ist bekanntlich die Erdanziehung zuständig und für das zweite nicht nur die Kampfstärke der jungen und hungrigen persischen Armee, sondern auch die geschickte Diplomatie ihres neuen Königs. Was kann es also bedeuten, dass es eine Instanz gibt, die beides bewirkt und dazu noch den Urknall, das heutige Wetter und meine Träume kommende Nacht?

Muster

Die Sache mit dem Stein, der zu Boden fällt, ist ein guter Einstieg in einer Antwort. Was sieht jemand dabei wirklich? Der Stein bewegt sich nach unten, bis er auf die Erde trifft, die Strecke ist zu kurz, um dabei wirklich die Beschleunigung zu beobachten, die er den Fallgesetzen Galileos gemäß haben müsste. Wir sehen hier seit Newton die Erdanziehung am Werk. Ein gebildeter Mensch der Spätantike oder des Mittelalters hätte hier gemäß der aristotelischen Physik einen Gegenstand gesehen, der dem Element Erde zuzuordnen ist und deshalb seinem natür­lichen Ort im Mittelpunkt der Erde zustrebt.

Mit anderen Worten: Wir legen Erklärungsmuster über unsere Beobachtungen, aus unter­schiedlichen Motivationen. Im Falle von Aristoteles und Newton ist es eine wissenschaft­liche Erklärung dieser Vorgänge. Im Falle des Monotheismus ist es ein tieferes Verständnis unseres Lebens. Dazu später mehr.

Bewirken

Um diesen winzigen Schritt abzusichern, noch einige Worte zu einem gewissen naturwissenschaftlichen Reduktionismus, der sich gerne des Wortes „bewirken“ bemächtigen möchte. Danach wird es nur dort legitim gebraucht, wo es einen materiellen, kausalen Zusammenhang zwischen dem Verursacher und den von ihm bewirkten Tatbeständen gibt. Und da die Wissenschaft inzwischen so gut wie alle Kausal­beziehungen in der Welt erforscht hat, kann es keine Möglichkeit für ein Prinzip wie „Gott“ geben, irgend etwas zu bewirken.

Der springende Punkt ist hier die Frage der Legitimität. Natürlich ist dieser Gebrauch von „bewirken“ ein besonderer. Illegitim oder zumindest sehr problematisch wäre er dann, wenn er tatsächlich gegen eine fest umschriebene Bedeutung des Wortes verstoßen würde. Tatsächlich gibt es aber umgangssprachlich viele verschiedene, wenn auch überlappende, Schattierungen von Begriffen wie bewirken, verursachen usw.

So könnte z.B. ein Advokat in einem Prozess um einen Unfall ohne weiteres sagen: „Der Schaden wurde einzig und allein verursacht durch das unverantwortliche Verhalten des Unfallgegners, als er sich trotz exzessiven Alkoholgenusses ans Steuer setzte.“ Ganz offensichtlich ist hier der beschriebene Auslöser extrem weit von dem beschriebenen Ergebnis entfernt und der Zusammenhang mit einer exakten physikalischen Beschreibung nicht in den Griff zu bekommen und trotzdem wissen wir genau, was hier mit „verursachen“ gemeint ist. Dass jegliche Vorstellung von „Gott bewirkt, dass der Stein fällt“ von vorneherein illegitim ist, wäre eine apriorische Behauptung, die mit den tatsächlichen Regeln unserer Umgangssprache nicht zu belegen ist.

Falsch oder unverständlich?

Tatsächlich fällt es uns offensichtlich leicht, die Idee des Bewirkens oder Verursachens über eine physikalische Bedeutung hinaus zu erweitern. Magisches Verbiegen von Gabeln, übersinnliche Kräfte, reißerische Filme, in denen Menschen durch pure Willens­kraft Gehirne explodieren lassen: Natürlich wird man all das im Normalfall für Unsinn halten. Aber die Vorstellung davon und die Beschreibung dieser fiktiven Tatbestände sprengen nicht die Vorgaben unserer Sprache: Es ist kontrafaktisch, aber bleibt in unserem Sprachspiel, wir können ohne Weiteres die alltägliche Vorstellung des Bewirkens erweitern und auf solche Dinge übertragen.

Jedermann verstand, was gemeint war, als Uri Geller (erinnert sich noch jemand an den?) ankündigte, seine magischen Kräfte würden per Fernsehen bewirken, dass stehengebliebene Uhren wieder in Gang kommen. Und jedermann sollte verstehen, was gemeint ist, wenn ich sage, dass Gott den Stein zu Boden fallen lässt: Er macht es einfach. Unsere natürliche Sprache lässt sich um diese Vorstellung erweitern, ob jemand das unsinnig oder gar unmoralisch findet, ist ein anderes Thema.

Vorsicht, extrem theoretisch

Im nächsten Schritt baue ich das Ganze als formale Theorie auf. Es ist dies zwar ein absoluter Overkill, aber einmal muss das einfach durchgezogen werden. Meine Damen und Herren! Zum ersten Mal in der Geschichte: Eine durchformalisierte Theorie der starken Allmacht.

Sie ist keine wissenschaftliche Theorie, in der die Begriffe sich abkoppeln von ihrer natursprachlichen Bedeutung. Der Begriff der „Arbeit“ in der Newton’schen Mechanik z.B. hat mit der alltäglichen Bedeutung nichts mehr zu tun, sondern erhält sie durch die Definition „Arbeit ist Kraft mal Weg“.

Die Theorie der starken Allmacht (im Folgenden P wie Pantokrator) ist die Erweiterung einer natürlichen Sprache und stützt die Bedeutung ihrer Begriffe auf ihre alltägliche Bedeutung in dieser Sprache, ich nenne dies eine natursprachlich fundierte Theorie.

Sei also N eine natürliche Sprache, die die folgenden banalen Voraussetzungen aufweist: Sie kann Tatsachen beschreiben oder mitteilen, sie kann solche Mitteilungen unterscheiden von anderen Sprechakten wie Befehlen und sie kennt für jede solche Beschreibung Φ eine zweite Beschreibung der Art

⌜ζ bewirkt, dass Φ⌝

wobei ζ Platzhalter für einen beliebigen Namen ist (ich lasse das so halbformal stehen als Äquivalent der jeweiligen Formulierung in N).

Ein Beispiel wäre: „Hans bewirkt, dass es regnet.“ Das ist natürlich normalerweise falsch, aber es ist eine korrekte und verständliche Mitteilung eines Sachverhalts (sonst könnten wir auch gar nicht erkennen, dass sie falsch ist). Ich nenne dies eine Sachbeschreibung mit der dazu gehörigen Wirkungsbeschreibung. Wenn man auf zusammengesetzte Aussagen verzichtet, etwa auf „und“-Sätze, ist die Anzahl der Sachbeschreibungen in einer natürlichen Sprache vielleicht sogar endlich, auf jeden Fall ist sie abzählbar.

Dann ist P eine in einer solchen Sprache fundierte Theorie, die ihr zunächst einmal das Attribut „göttlich“ oder (gleichbedeutend) „ist Gott“ hinzufügt. Das erste Axiom dieser Theorie ist der Satz, dass es einen und nur einen solchen Gott gibt:

(A1) ∃!x (göttlich(x))

Mit Hilfe des Russel’schen iota-Operators definiere ich Gott als dasjenige x, auf das das Attribut „göttlich“ zutrifft:

(D1) Gott := x(göttlich(x))

Damit hätte ich eine beeindruckend unleserliche Form von la illah il allah. Diese Definition genügt übrigens dem Kriterium der Eliminierbarkeit, d.h. sie ist lediglich eine Abkürzung und ich könnte im Folgenden auch ohne sie auskommen. Was nun folgt, ist eine Liste von Axiomen: Sei Φ1, … ,Φn, … eine Liste der Sachbeschreibungen der zugrundeliegenden natürlichen Sprache. Dann gibt es für jedes Φn und der dazu gehörigen Wirkungsbeschreibung  ⌜bewirkt(Gott), dass Φn⌝ ein Axiom An+1 der folgenden Form (n+1, weil A1 bereits besetzt ist):

(An+1) Φn ↔ (Gott bewirkt, dass Φn)

Zu lesen als: Wenn Φn zutrifft, dann bewirkt Gott Φn und umgekehrt (mit dieser wenn-dann-Formel umgehe ich die Frage, welche Sachbeschreibung denn wahr ist oder nicht, ein wichtiger Punkt, auf den ich noch kommen werde).

Das war’s. Mehr in der nächsten Installation von „Existiert Gott?“.

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