Apr 142013
 

Basisdiskurs Religion XXXVI>>>mehr

Nach langer Pause, in der ich ausschließlich an meinem neuen Buch gearbeitet habe, hier wieder eine reuevolle Rückkehr zu meinem vernachlässigten Blog. Allerdings ist eine solche Pause manchmal von Nutzen. Bei meinem fortgeschrittenen Alter verheddert man sich ziemlich leicht, wenn man so diffizile Knäuel wie den von Glaube und Wissenschaft auseinander dröseln will. Ein wenig Abstand hilft da manchmal zu einem Neustart.

Also: Frisch ans Werk!

Noch einmal: Quantentheorie

In meinem letzten Beitrag der „Wunder“-Serie habe ich über die Erschütterung geschrieben, die die Vorstellung der Natur als eines großen Uhrwerks durch die Ergebnisse der Quantenlogik erfahren hat. Symptomatisch dafür ist die Ablehnung dieser Theorie durch Einstein, der meinte „Gott würfelt nicht“, also: Es kann in der Natur keine Vorgänge geben, die rein stochastisch (wahrscheinlichkeitstheoretisch) beschrieben werden müssen und für die man auf eine kausale Beschreibung verzichten muss.

Würfel

Ich bleibe einen Moment bei dem Bild des Würfelns. Bekanntlich ist dies eine Tätigkeit, bei der alle Ergebnisse von einem bis zu sechs Augen bei jedem Wurf gleich wahrscheinlich sind. (Eine triviale Erkenntnis, doch widerspricht sie unserer Intuition, gemäß der nach zwanzig Würfen ohne eine Sechs doch endlich mit hoher Wahr­scheinlichkeit der begehrte Sechser kommen muss.)

Natürlich hätte Laplace gesagt, dass ein allwissender Dämon sehr wohl jeden einzelnen Wurf voraus berechnen könnte. Er ist ja ein Resultat vieler verschiedener Faktoren – Gewicht und Oberfläche des Würfels, Richtung und Schwung des Wurfes, Beschaffenheit des Tisches usw. – von denen jeder einzelne genau bestimmt und alle zusammen die alle zusammen in ihrem Ergebnis genau berechnet werden können. Nun wäre es wohl auch Laplace klar gewesen, dass es eine solche Kalkulation im echten Leben nicht gibt und auch nie geben wird, eine Kalkulation, die in jedem Fall mit jedem Würfel, jedem Spieler und auf jedem Tisch jeweils sicher das Richtige vorhersagt.

Die Ordnung der Welt

Welchen Sinn hatte dann für Laplace die Vorstellung dieses Dämons? Es war die stärkste Formulierung jener Idee einer durch die „Naturgesetze“ geordneten Welt, von der Dawkins spricht und in der kein willkürlich herrschender Gott Platz hat, eine Idee, die weniger eine praktisch brauchbare Beschreibung der Welt war als vielmehr eine Weltanschauung, eine Geisteshaltung gegenüber dem Universum. Und es war diese Geisteshaltung, die durch die Quantenlogik beschädigt wurde.

„Wissenschaftlichkeit“

Und nach wie vor ist es diese Geisteshaltung, die im Hintergrund herumspukt, wenn von Wissenschaftlichkeit gesprochen wird: Die Vorstellung, dass jedes Phänomen der Welt aus einer endlichen Zahl mathematisch formulierbarer Naturgesetze ableitbar ist. Diese Zahl mag groß sein, vielleicht, wie im Falle des Würfelns, so groß, dass sie real niemals eingeholt werden kann, aber grundsätzlich kann man sicher davon ausgehen, dass sie endlich ist.

Vor allem aber meint diese Wissenschaftlichkeit die lange Zeit so erfolgreiche Strategie, sich an diese grundlegenden Gesetze anzunähern: Alle Versuchsanordnungen sind natürlich notwendigerweise unvollkommen, so ist z.B. niemals ein vollkommenes Vakuum herzustellen. Aber durch Versuche in hinreichend leergepumpten Räumen können dennoch die „wahren“ Naturgesetze gefunden werden, die durch den störenden Einfluss der alltäglichen Bedingungen (Luftwiderstand usw.) verschleiert werden und sich erst im Vakuum zeigen. Auf diese Art manifestieren sich auch in unserer alltäglichen Umgebung die reinen, ewigen Naturgesetze, zwar in annähernder Form, aber für den Wissenden immer noch gut erkennbar. Und überall dort, wo wir dies noch nicht erkennen können, wird die Wissenschaft eines Tages diese Lücken füllen.

Chaos

Zwar ist diese traditionelle wissenschaftliche Weltanschauung im allgemeinen Bewusstsein vor allem durch die Quantentheorie erschüttert worden, weit wichtiger für ihre Beurteilung ist aber die sogenannte Chaostheorie. Die Quantenlogik bezieht sich auf einen klar begrenzten Bereich subatomarer Phänomene, die in größerem Maßstab kaum Folgen zeitigen, die Chaostheorie und der mit ihr verwandte Begriff der „schwachen Kausalität“ findet an vielen Stellen unseres Alltagslebens Anwendung. Die berühmteste davon ist das Wetter, siehe der ständig zitierte und meist falsch verstandene Satz vom Schmetterlingsflügel, der einen Tornado auslösen kann.

Wettervorhersagen

Eine Anekdote aus den frühen Tagen der Chaostheorie illustriert sehr schön die zugrunde liegende Begrifflichkeit. 1961 arbeitete Edward Lorenz am Thema der Wettervorhersagen. Dazu nützte er, einen Computer, der gemäß dem damaligen Stand der Technik und seinem begrenzten Budget ziemlich langsam war. Um Zeit zu sparen, wollte er nur den letzten Teil einer Berechnung wiederholen und gab dazu die Zahlen, die der Computer zuvor ermittelt hatte, per Hand ein, indem er sie von einem Ausdruck abtippte.

Zu seiner Überraschung war das Ergebnis völlig verschieden von dem zuvor erhaltenen. Wie sich schließlich herausstellte, lag das an der Genauigkeit der Zahlen. Intern rechnete der Computer mit sechs Nachkommastellen, beim Ausdruck hatte er sie aber auf drei Stellen gerundet und so hatte sie Lorenz wieder eingegeben. Aller Erwartung nach hätte die daraus entstehende Abweichung minimal sein müssen, tatsächlich aber wichen die beiden Resultate weit voneinander ab. Im Endeffekt stellte sich heraus, dass trotz genauester Ausgangswerte sich das Wetter im Allgemeinen nur über maximal eine Woche im voraus berechnen lässt.

Newton hatte Glück

Wetter und Würfel zeitigen also beide nicht vorausberechenbare Ereignisse. Trotzdem können sie nicht in einen Hut geworfen werden, Wetter ist chaotisch (im Sinne der Chaostheorie), Würfeln nicht: Im Unterschied zum Würfel sind beim Wetter alle relevanten Ausgangsbedingungen bekannt. Ich kann mich aber nicht durch die immer genauere Bestimmung dieser Bedingungen einem idealen Ergebnis annähern.

Ich erläutere diesen nicht ganz ganz einfachen Sachverhalt mit einem etwas schiefen Beispiel. Am Äquator beschleunigt sich jeder Körper im freien Fall um 9,78 Meter pro Sekunde im Quadrat. Natürlich fällt außerhalb des Labors eine Bleikugel wesentlich schneller als eine Holzkugel, diese Werte erhält man nur im Vakuum. Ich kann das zeigen, indem ich eine Röhre leerpumpe und darin die beiden Kugeln fallen lasse. Natürlich werde ich in dieser Röhre nie ein vollkommenes Vakuum erzeugen können, dennoch nähern sich die gemessenen Werte immer mehr diesen 9,78 an, je stärker ich sie leerpumpe. Wäre dies aber ein chaotisches System wie das Wetter, würde ich beim allmählichen Leerpumpen der Röhre pro Versuch stark unterschiedliche Ergebnisse bekommen. Galileo wäre verzweifelt und Newton hätte nie seine Theorie entwickeln können, wenn sich fallende Körper bei wechselnden Hoch- oder Tiefdruckgebieten auf unberechenbare Weise anders verhalten hätten.

Kleine wissenschaftliche Breitseite

Noch ein bisschen Fachjargon: Beide, das Wetter und die fallende Kugel werden vollständig von ihren (bekannten) Ausgangsfaktoren bestimmt, beide sind deterministische Systeme. Bei der Kugel bewirken kleine Veränderungen in den Bedingungen (schwankender Luftdruck) nur kleine Veränderung im Verhalten. In diesem Fall spricht man von starker Kausalität. Beim Wetter hingegen bewirken selbst kleinste Veränderungen in den Ausgangs­bedingungen große Abweichungen im Ergebnis, das heißt dann schwache Kausalität.

Beim Würfeln können die Ausgangsbedingungen nicht vollständig beschrieben werden (da spielt einfach zu viel Verschiedenes herein), die Ergebnisse unterliegen aber einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung. Das sind die Merkmale eines stochastischen Systems.

Es ist nicht immer ganz leicht, zu entscheiden, ob ein bestimmtes System chaotisch oder stochastisch ist. Es gibt aber ein charakteristisches Merkmal chaotischer Systeme: Bei einer kleinen Veränderung der Ausgangsbedingungen werden die Abweichungen vom ursprünglichen Verhalten mit der Zeit immer größer (der berühmte Schmetterlingsflügel wird zunächst  keine Abweichung des Wetters auslösen und erst nach Tagen an der Entstehung eines Tornados mitwirken). Bei stochastischen Systemen bleibt die Wahrscheinlichkeitsverteilung vom ersten Mal an immer gleich (bereits vom ersten Wurf an gilt die gleichmäßige Verteilung der Ergebnisse von eins bis sechs).

Das große Uhrwerk stottert

Im konkreten Wissenschaftsbetrieb hat sich durch die Entdeckung chaotischer Systeme wenig verändert außer dass mit der Chaostheorie ein neues theoretisches Werkzeug hinzugekommen ist. Anders ist es mit der Ideologie einer „Wissenschaftlichkeit“, die immer noch den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verhaftet ist.

Dawkins habe ich bereits einmal zitiert: „Das Universum ist ein geordneter Raum, den wir verstehen können und in dem es keine kapriziösen willkürlichen Eingriffe gibt.“ Dieses Gegensatzpaar von „geordnet“ (=wissenschaftlich) und „kapriziös“ (=wundergläubig) ist zu offensichtlich dem Newtonschen Ideal einer durchweg stark kausal bestimmten Natur verpflichtet. Stochastik und vor allem die Chaoslehre haben uns aber die teilweise sehr kapriziöse Art dieses Universums gezeigt.

Und jetzt?

Wie so oft, spiegelt aber diese vulgäratheistische Position à la Dawkins nur ein Defizit der Theologie wieder. Wenn dort von einem Wirken der Allmacht Gottes im Universum gesprochen wird, steht dabei immer noch der Teilaspekt der Schöpfung im Vordergrund, es wird an einen Uranfang gedacht, der das Universum „verursacht“, d.h. kontrolliert, im Sinne einer starken Kausalität, in Gang setzt. Dieser ordentliche Geschäftsgang des Alls pflanzt sich dann mehr oder weniger ohne das Zutun der Allmacht Gottes fort, angetrieben durch das Ensemble der – stark kausalen – Naturgesetze.

Und die Wunder? Falls sie nicht ohnehin verschämt unter den Teppich gekehrt werden, gelten sie als sekundäre Eingriffe in diesen ordentlichen Geschäftsgang, die in keinem systematischen Zusammenhang mit dem Urimpuls der Schöpfung stehen.

Je mehr sich die Erkenntnis der allgegenwärtigen stochastischen und chaotischen Prozesse durchsetzt, desto fragwürdiger oder irrelevanter wird diese Vorstellung der Allmacht Gottes. Und um so dringender ist unsere Aufgabe, das neue, gewandelte Bild der Naturgesetze wirklich ernst zu nehmen. Deuterojesaias und Hiob warten darauf.

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Wunder IV: Der Stollen Gottes im Bergwerk der Wissenschaft„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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