Mai 022013
 

Basisdiskurs Religion XXXVII>>>mehr

Ich komme jetzt endlich dazu, die Kategorien anzuwenden, die ich in meinem schon etwas verflossenen Post „Die vier Dimensionen einer Religion“ ausgebreitet habe. Ich habe dort die vier Stichwörter dignum, justum, aequum und salutare analysiert, die aus den ältesten Texten der Meßliturgie stammen und dort als die Gründe angeführt werden, aus denen heraus man Gott preisen sollte. Hierbei habe ich das dignum gleichgesetzt mit dem tremendum und faszinosum einer Religion, also der emotionalen Ergriffenheit, sowie das justum mit der Befolgung der Regeln dieser Religon.

Im römischen Recht bedeutet nun justum gerecht gemäß dem Text des Gesetzes, während aequum eine Gerechtigkeit bezeichnet, die sich auf Sachverhalte außerhalb beruft, wenn der Text zu kurz greift (wenn er z.B. bei strikter Anwendung Folgen zeitigen würde, die dem Willen des Gesetzgebers ganz offensichtlich zuwider laufen würde). Aequum heißt „gleich“; im Hintergrund steht das Bild einer Waage. Im Zusammenhang der Liturgie hieße das dann in etwa: Es scheint auch unter Abwägung aller Tatbestände (einschließlich solcher außerhalb des Glaubens) gerecht, Gott zu preisen.

Salutare wiederum bedeutet ganz einfach heilsam, also der Seele und dem Geist des Menschen zuträglich.

Ich möchte nun die sicherlich merkwürdige wissenschaftliche Formulierung des Monotheismus aus meinem letzten Post mit diesen vier Dimensionen konfrontieren.

Dignum et iustum

Hier noch einmal die Kurzfassung der „monotheistischen Theorie“:

  • Gott ist genau das eine Wesen, das alles, was geschieht, bewirkt und alles, was logisch möglich ist, bewirken kann.

Dignum?

Ob diese Formulierung in der Lage ist, einen frommen Schauder zu bewirken, muss wohl jedem selbst überlassen werden. Allerdings gilt dieser subjektive Charakter auch für andere Formulierungen im christlichen Glauben. Persönlich muss ich asagen, dass der harte, klare und totale Charakter dieser Aussage durchaus eine Saite in mir zum Schwingen bringt.

Iustum?

So, wie er dasteht, entspricht dieser Satz durchaus der monotheistischen Idee der Achsenzeit bei Deuterojesaias und Hiob (siehe einen meiner ersten Posts im Basisdiskurs Religion). Dies war zumindest der Höhepunkt des Ein-Gott-Glaubens im Alten Testament, der ihn in eine Reihe stellt mit den anderen religiösen Entwürfen aus dieser Zeit wie etwa dem Buddhismus.

Aequum

Ist die Annahme dieser „monotheistischen Theorie“, unter Abwägung aller Tatsachen, „gerecht“? Und was soll das bedeuten?

Hier hilft wieder der Rückgriff auf das ursprüngliche Begriffspaar iustum und aequum. Sagen wir, es gibt eine Frage des Rechts zu lösen und ich entscheide zunächst nach dem Buchstaben des Gesetzes. Meine Entscheidung ist, nach bestem Wissen und Gewissen iustum. Ist sie auch aequum?

Um dies zu entscheiden, muss ich die gesamte Situation in einem objektiven Licht betrachten, von einem Gesichtspunkt überhalb und jenseits des Rahmens des Rechts: Entspricht das Urteil, das ich mit dem iustum aus den Gegebenheiten gewonnen habe, den Intentionen des Gesetzgebers? Widerstrebt es ganz offensichtlich dem allgemeinen Rechtsgefühl? Übertragen auf meine Formulierung des Monotheismus: Entspricht sie den tieferen Intentionen seiner Gründer? Und befindet sie sich im Widerspruch zu allgemeinen, unwidersprochenen Auffassungen der Welt? Und das heißt im Besonderen, widerspricht sie ihrem am klarsten formulierten Teil, widerspricht sie der Wissenschaft?

Die erste Frage habe ich, wie ich denke, bereits in meinem oben erwähnten Post bejahen können. Für eine Antwort auf die zweite habe ich in dieser „Wunder“-Serie die nötige Grundlagenarbeit geleistet. Es wird Zeit, die Folgerungen zu ziehen.

Der banale Gott

Wie im letzten Post dargelegt, ist die „monotheistische Theorie“ nichts weniger als banal: Jede Darstellung eines Sachverhalts, wie „es regnet“, kann neu formuliert werden als „Gott bewirkt, dass es regnet“ und „Gott bewirkt, dass die Sonne scheint“ heißt nichts anderes als „die Sonne scheint“.

Der Aspekt des „logisch Möglichen“ ist zunächst ebenso banal. Auch hier handelt es sich um die einfache Permutation von „X ist logisch möglich“ zu „Gott kann X bewirken“ und umgekehrt.

Sicher könnten Gläubige hier allmählich etwas ungeduldig, wenn nicht ungehalten werden. Die Vorstellung, dass ihr spirituelles Zentrum in derart primitive Manipulationen gezwängt wird, ist für sie vielleicht nicht ganz einfach mitzuvollziehen. Aber die meisten von sind ohnehin davon ausgegangen, dass die Idee Gottes überhaupt keine Über­schneidung mit den Bereichen der Logik und Wissenschaft kennt. Es sollte sie deshalb nicht allzu sehr überraschen, dass diese Schnittmenge verhältnismäßig klein und banal ist. Aber sie hat ihren Wert, wie ich noch aufzeigen werde.

Die Kosten

Die Kosten dieser monotheistischen Theorie sind, vom logischen Standpunkt aus gesehen, minimal: Es handelt sich hier um wenig mehr als eine façon de parler. Trotzdem könnte es vom wissenschaftlichen Standpunkt aus dagegen einen Einwand geben: Es scheint dies ein klarer Fall für Ockhams Gesetz zu sein (im angelsächsischen als occams razor bekannt). Danach ist von zwei Theorien die einfachere vorzuziehen, insbesondere die mit den wenigsten theoretischen Entitäten. So ist die Version Keplers der Planeten­bahnen dem älteren ptolemäischen Modell vorzuziehen, weil dieses eine ganze Reihe zusätzlicher sogenannter „Epizyklen“ benötigte, um die beobachteten Bewegungen der Wandelsterne zu erklären.

Also: Die Einführung von „Gott“ über die monotheistische Theorie ist zwar relativ banal, aber immer noch, wenn auch nicht besonders, komplizierter als eine Weltsicht ohne diesen Gott, oder so könnte man zumindest meinen. Nur: Wie sieht diese Weltsicht aus? Wie beschreibt man die Gesamtheit all dessen, was dem Menschen im Leben zustößt? Ich habe Formulierungen gehört wie „Zufall und Notwendigkeit“ oder „Dinge passieren einfach“. Keine von ihnen scheint wirklich einfacher zu sein als die Rede von Gott. Tatsächlich gibt es einfach keine „normale“ Vorstellung von der Gesamtheit der Phänome, die uns im Laufe unserer Jahre zustoßen.

Ich möchte also mit gutem Recht behaupten, dass die monotheistische Theorie die Forderung des aequum erfüllt: Alles in allem widerspricht sie keiner unbestrittenen Regel oder Überzeugung, niemand muss die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit vergewaltigen, um sie in den eigenen Sprachgebrauch zu übernehmen .

Salutare

Die monotheistische Theorie stellt nur eine kleine Ecke des Glaubens an den einen allmächtigen Gott dar, die minimale Schnittstelle diese Glaubens mit einer wissenschaftlichen Betrachtung der Welt. Sie stellt nur die trockene Essenz seiner logischen Bestandteile dar. Trotzdem ist sie heilsam. Sie stellt einen Anker dar für diesen Glauben, der eine so viel­schichtige Überlieferung aufweist und den Menschen durch so viele Situationen begleitet. Auf diesem Weg kann er Schutz empfinden, Geborgenheit, Vorsehung. Er kann sich an der Größe des Universums und der Energie seiner eigenen Existenz begeistern. Solange er die klaren, eindeutigen Sätze der monotheistischen Theorie vor Augen hat, wird er niemals die Wahrheiten Hiobs vergessen oder die Selbstaussage dieses Gottes: „Ich bin Jahwe und sonst keiner, der Licht erzeugt und Finsternis schafft, der Frieden macht und Unheil bringt.“

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Titel „Wunder VI: Modelle„. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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