Aug 062012
 

Basisdiskurs Religion XXI >>>mehr

Ich habe in meinem letzten Post angekündigt, dass mein Blog sowohl subjektiver als auch radikaler werden wird. Hier möchte ich nun das zweite Versprechen einlösen. Die Überlegungen, die ich im folgenden anstelle, sind der Einstieg zu einem grundlegend neuen Strang in meinem „Basisdiskurs Religion“.

Grundlagen, die nicht mehr funktionieren

Wenn ein Gedankengebäude in Schwierigkeiten kommt, ob Ideologie oder Wissenschaft, so kann man das auch daran erkennen, dass ein großes Interesse an den Anfängen, an den Wurzeln entsteht, an den ersten Ideen und Ideengebern, mit denen das Ganze begann. Es ist der Versuch, wieder von vorne zu beginnen, wieder den frischen, ursprünglichen Impuls zu gewinnen und über diesen Neuanfang die herrschende Stagnation zu überwinden.

Nun, das Christentum steckt im Moment in erheblichen Schwierigkeiten. Nachdem man sich über Jahrzehnte der Illusion hingegeben hat, dass die Krise dieser Religion im Wesentlichen auf Europa beschränkt ist und sie in anderen Erdteilen blüht und gedeiht, haben neuere Studien ergeben, dass der Glaube auf dem ganzen Globus abbröckelt und verfällt. Unter diesen Umständen wäre es ganz natürlich, wieder zu den allerersten Anfängen zurück zu gehen und zu versuchen, diesen Glauben von seinen Fundamenten her neu zu begreifen. Das scheint aber irgendwie nicht zu funktionieren.

Einer der Gründe scheint mir der zu sein, dass meistens der Anfang des Christentums in den Evangelien und bei der Person Jesu Christi gesucht wird. Natürlich ist dies die entscheidende Person und Botschaft des „Christentums“, aber es ist nicht der erste Beginn. Person und Botschaft Jesu Christi bauen auf dem Monotheismus des alten Judentums auf und sind ohne diesen ersten, grundlegenden Schritt nicht zu verstehen.

„Es gibt nur einen Gott“ als Leerformel

Natürlich ist der altjüdische Glaube, wie er sich im Alten Testament darstellt, nicht aus einem einzigen Guss. In der Anschauung seines Gottes entwickelt er sich von der Aussage „er ist stärker als die anderen Götter“ hin zu „nur er ist real, alle anderen Götter sind Menschenwerk“. Erst in dieser letzteren Version entfaltet er seine volle Durchschlags­kraft. Ihre eindrucksvollste Demonstration ist ohne Zweifel der Islam mit seiner allerersten Formel „la illah il allah“, also „es gibt keinen Gott außer Gott“.

Nur: Dieser erste, grundlegende Impuls geht heute ins Leere: Dort, wo es keine Götter mehr gibt, kann dieser Sprung, dieser Flash, der in der Reduktion auf einen einzigen Gott enthalten ist, keine Wirkung mehr entfalten. Das machte weiter nichts, solange andere Faktoren das Christentum stützten; zumindest im letzten zwei Jahrhunderten war das wohl vor allem die allumfassende Sozialisation auf diesen Glauben hin in den traditionell christlichen Ländern. Wenn aber, wie jetzt, diese Grundlage abbröckelt, wird der völlige Ausfall des grundlegenden Impulses lebensbedrohlich. Die zunehmende Vagheit und Entleertheit des Gottesbegriffes zeigt dies nur allzu gut. Wenn z.B. von einem „apersonalen Gott“ geredet wird, den es dann ja irgendwie auch im Buddismus gibt, hat sich offensichtlich die Verbindung zur alttestamentarischen Grundlage des Glaubens ins Nichts verflüchtigt.

Aus Stärken werden Schwächen

So verwandelt sich die ursprüngliche Hauptstärke des Monotheismus in eine tödliche Schwäche. Der ungeheure Erfolg dieses Glaubens mit seinen verschiedenen Ausprägungen kam ja daraus, dass er die Menschen so nahe an ihrer bisherigen Religion abholte. Götter hatten sie alle, und mit dieser einen Formel „es gibt keinen Gott außer Gott“, mit dieser Konzentration all ihrer Religiosität auf einen einzigen Punkt, wurde ihnen der große Sprung zu etwas ganz Neuem vermittelt. Und wenn dieser Sprung nicht ganz klappte, nun, dann hatte man immer noch die Rituale, die Gebete und die Frömmigkeit aus dem alten Gottesglauben, die man jetzt einfach auf den neuen, einen Gott übertrug und so eine Grundlage schuf, eine Plattform, von der aus man immer wieder einen Anlauf nehmen konnte, um tiefer einzudringen in die Wahrheit – oder eben auch nicht.

Nun gab es immer wieder Versuche, über diesen Punkt hinauszugelangen, tiefer zu forschen nach dem Inhalt, der sich hinter der einfachen Formel eines einzigen Gottes verbarg. Der markanteste davon war der, den Logos der alten griechischen Philosophie ins Spiel zu bringen und z.B. Jesus Christus damit zu identifizieren. Vor allem Origenes gelangen hier Theorien auf einem hohen denkerischen Niveau. Es ist kein Zufall, dass der augenblickliche Papst Benedikt ihn so hoch einschätzt. Und aus eben diesem Grunde sieht der Papst den altgriechischen Logosbegriff und die dahinter stehende Philosophie als unverzichtbare Grundlage nicht nur des Glaubens, sondern sogar des ganzen europäischen Denkens an und sieht den Grund für den Niedergang in der Auflösung dieser Philosophie durch einen neuzeitlichen Relativismus. (Siehe meinen Post dazu)

Nicht außen suchen

Das Problem dabei liegt nicht unbedingt darin, dass der Logosbegriff aus der Mode gekommen und nicht mehr wiederzubeleben ist. Vielmehr zeigt sich darin die grundsätzliche Schwäche jedes Versuchs, die Wahrheit, die Spiritualität des Christentums auf Gedanken und Theorien aufzubauen, die außerhalb seiner selbst liegen, etwa in dieser oder jener Philosophie. Vor etwa 50 Jahren war es z.B., zumindest in Deutschland, große Mode, den christlichen Glauben in der Existenzphilosophie Heideggers zu begründen. All diese Versuche sind inzwischen zusammen mit dieser Philosophie verblasst (Meinung des Verfassers: War sowieso nur eine großmäulige Dampfplauderei).

Was war die Energie, die durch dieses „ein Gott statt vieler“ ausgelöst wurde? Was geschah in diesem Flash, in diesem spirituellen Kick? Was ist das richtige Vorgehen, um hier die Antwort zu finden?

Suche nach Wahrheit – banal wie immer

Auch wenn es vielleicht zu banal, zu alltäglich klingt: Auch auf diesem Gebiet gibt es kein anderes Verfahren, als in der Wissenschaft oder auf anderen Gebieten, auf denen man aus einer großen Menge einzelner Fakten die größeren Zusammenhänge herausfiltern muss; ein solches Gebiet ist z.B. die Kriminalistik. Es geht darum, die vorliegenden Fakten erst einmal zu sichern und zu sortieren, daraus Hypothesen zu entwickeln, wie es denn sein könnte, diese Hypothesen wiederum gegen neue Fakten zu testen, aufgrund vorläufiger Hypothesen wiederum die Fakten zu untersuchen, ob sich unter diesen neuen Gesichtspunkten neue Erkenntnisse gewinnen lassen usw. usw.

Wichtig ist hier natürlich der Instinkt des Forschers, eine Intuition, die es ihm ermöglicht, plötzlich zu einem neuen Ergebnis zu springen. Auf dem Gebiet der Religion kommt man hier nicht ohne eine gewisse spirituelle Spürnase aus, ein Gefühl dafür, in welcher Richtung die Wahrheit über den Menschen liegen könnte oder das, was ihm gut tut.

Der Prüfstein

Das, jeweils vorläufige, Endergebnis einer wissenschaftlichen Forschung sollte eine Theorie sein, die die vorliegenden Fakten am besten von allen konkurrierenden Hypothesen erklärt. Glaubwürdigkeit und Autorität gewinnt sie dadurch, dass sie dies mit einem deutlichen Vorsprung vor allen anderen bekannten Erklärungen tut.

Eine solche Theorie kann natürlich jederzeit widerlegt und durch eine andere, bessere ersetzt werden. Aber, wenn der erwähnte Vorsprung deutlich genug ist, setzt sie neue, höhere Maßstäbe für eine solche Widerlegung und Ablösung. So müsste z.B. eine Theorie, die die spezielle Relativitätstheorie ablösen will, eine Reihe von Phänomenen genau so gut erklären können, z.B. den Dopplereffekt. Diese Hürde ist so hoch, dass die spezielle Relativitätstheorie inzwischen als zweifelsfrei bestätigt gilt.

Der Maßstab in Glaubenssachen

In meinen nächsten Posts zum Basisdiskurs Religion werde ich die Rekonstruktion der christlichen Lehre von einem ganz anderen Punkt aus beginnen: Da die Rede von Gott und Göttern inzwischen einigermaßen hohl geworden ist, beginne ich mit einer rein anthropologischen Sicht, mit der Frage, was dem Menschen not tut und was das Christentum dazu beitragen kann.

Was auch immer die Reaktion meiner Leser ist, ob sie das Ganze interessant, originell oder abwegig finden: Unter den Grundsätzen, den Qualitätskriterien, nach denen ich vorgehe, sind zwei, die ich besonders wichtig finde:

Erstens lege ich durch die Bank dar, warum ich in all den verschiedenartigen Tendenzen der Bibel gerade die herausgesucht habe, auf denen ich meine Argumentation aufbaue.

Zweitens und vor allem: Abschluss und Krönung einer Rekonstruktion des Christentums muss eine klare und folgerichtige Erläuterung der Idee der Dreifaltigkeit sein. Dieses für die frühe Christenheit so zentrale und umkämpfte Thema wird heute meist schamhaft links liegengelassen. Das ist falsch. Es ist zentral, es ist unaufgebbar, es ist das Herz des Ganzen.

Es geht weiter …

Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel „Die vier edlen Wahrheiten des Monotheismus II“. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der rechten Spalte den RSS-Feed oder abonnieren Sie hier den Newsletter.

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  2 Responses to “Was tun, wenn die Grundlagen entfallen?”

  1. […] erste Aussage hat aber in unserer Zeit jegliche Kraft verloren, wie ich in meinem letzten Post argumentiert habe; das Wort „Gott“ ist zu einer leeren Hülse geworden, die ihr Leben nur noch […]

  2. […] Davon mehr im nächsten Post. Der nächste Post des Basisdiskurses trägt den Arbeitstitel “Was tun, wenn die Grundlagen entfallen?“. Wenn Sie bei seinem Erscheinen benachrichtigt werden wollen, dann holen Sie sich in der […]

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